Neues aus meinem Verkostungstagebuch

wie gewohnt kurze Notizen über das, was zuletzt im Glas war…

Corvers-Kauter, Mittelheim

2023 Rauenthaler Baiken Riesling trocken – jedes Jahr aufs Neue begeisternd, was Familie Corvers aus Baiken zaubert – und  Langwerth von Simmern in dieser Brillanz und Eleganz so nie geschafft hat. Feinfruchtig mit langem Nachhall und hohem Trinkfluss

Balthasar Ress, Hattenheim

ein „neues“ Trio der Ersten Lagen: 2023 Rüdesheimer Bischofsberg und Hallgartener Würzgarten sowie Hallgartener Hendelberg. Da kommt Freude auf. Vor allem der Bischofsberg vereint Fruchtfülle mit Mineralität und entfaltetet großem Charme am Gaumen

Heymann-Löwenstein, Leiwen

2010 Uhlen Schieferformation Blaufüßer Lay trocken…. ein Monster mit 14,5 Prozent Alkohol. Fett, anstrengend, Trinkwiderstand! Ein kleines Glas zum Essen, ok, ansonsten würde ich wohl eine Woche brauchen, um die Flasche zu leeren.

Von Volxem, Saar

2018 Riesling „Alte Reben“

sehr gut gereift, Top, guter Trinkfluss, leicht nussige, cremige Aromen, perfekt am Gaumen, macht Spaß

Künstler, Hochheim

2022 Hocheimer Stielweg Alte Reben VDP 1.Lage trocken

2023 Chardonnay Kalkstein trocken

beides im neuen Chamamé in Künstlers Dependance in Hattenheim, ehemals Schloss Schönborn, getrunken. Wer Fleisch mag, ist hier sehr gut aufgehoben, gerade auch montags bei ungezwungener Atmosphäre.

Charta-Weine

40 Jahre Jubiläum, und Hubert Allerts Keller & Kunst-Kontor hat sich zu einer kleinen Charta-Botschaft mit einer schönen Auswahl gemausert. 7 der aktuell 14 Charta-Weine habe ich dort verkostet: August Eser, Barth, Diefenhardt, Jakob Jung, Spreitzer, Staatsweingüter (neu!) und das „Fass 52“ von Eser (Johannishof), das bei mir im direkten Vergleich die Nase vorn hatte (es fehlten natürlich Weil und Wegeler zur finalen Ausage…)  Zum Jubiläum zu gegebener Zeit noch mehr!

2022 „Neroberger“ der Hessischen Staatsweingüter Kloster Eberbach

für mich immer eine Bank im Sortiment der Staatsweingüter (VDP 1. Lage) mit einer guter Mischung aus Frucht und Terroir. Ich habe ihn bei einem kleinen Wiesbaden-Ausflug direkt mit Blick auf den 4 Hektar großen Weinberg getrunken. Der Weinberg hat eine schöne Geschichte: Im 17. Jahrhundert durch die Grafen von Nassau angelegt, 1866 mit dem gesamten Herzogtum in preußischen Besitz übergegangen und um 1900 für 250.000 Goldmark an die Stadt Wiesbaden verkauft, um den mehr als 1,1 Millionen Euro teuren Kauf von 19 Hektar Filetstücken im Rauenthaler Baiken finanzieren zu können. Im Jahr 2005 dann wieder langfristig zurückgepachtet von der Stadt. Eine wunderbare Monopollage !

Zur Lage: Riesling gibt Rätsel auf

Die Winzer beschäftigen aktuell nur schwer zu erklärende Reifeverzögerungen beim Riesling: Beim Mostgewicht haben die Rieslingtrauben im September nur mäßig zugelegt, während die Säurewerte stagnierten (noch über 13g) und noch immer recht hoch sind. Zu hoch, um mit der diesjährigen Weinlese auf breiter Front zu starten. Mit dem Beginn der Hauptlese ist daher vorerst noch nicht zu rechnen. Manfred Stoll, Leiter des Instituts für allgemeinen und ökologischen Weinbau der Hochschule Geisenheim geht davon aus, dass es noch bis zu zwei Wochen dauern könnte, bis sich eine „Harmonie“ von Zucker und Säure in den Beeren eingestellt habe. Das hieße, dass die Oechslewerte auf durchschnittlich 85 Grad zugelegt haben und dass die Säure dann auf knapp unter zehn Gramm je Liter Most gefallen ist.

Ob die Natur den bislang noch entspannten Winzern so lange Zeit gibt, oder ob zunehmende Fäulnis eine frühere Ernte erzwingt und im Nachgang womöglich eine Entsäuerung im Weinkeller notwendig macht, ist noch ungewiss. Weinbaupräsident Peter Seyffardt kann sich an eine derartige Reifeverzögerung bei früheren Jahrgängen nicht erinnern, aber sieht darin noch lange keine Hypothek für den Jahrgang 2024: „Da kann noch was Gutes entstehen.“ Seyffardt sieht sich allerdings wie andere Kollegen gezwungen, die schon angereisten Lese-Mannschaften nach Abschluss der Burgunder-Ernte mit anderen Arbeiten im Weinberg zu beschäftigen, ehe es endlich an die Hauptsorte Riesling gehen kann. So viel von Hand entblättert wurde daher selten im Rheingau.

Die Gründe für die Reifeverzögerung sind für Praktiker und Wissenschaftler gleichermaßen mysteriös. Am Wasser vom Himmel und entsprechend der Feuchtigkeit im Boden hat es in diesem Jahr jedenfalls nicht gemangelt. Zwischen Januar und Juli fiel in jedem Monat mehr Regen als im langjährigen Durchschnitt. In Geisenheim wurden schon jetzt 126 Liter mehr je Quadratmeter registriert als im langjährigen Mittel. Das Jahressoll ist schon fast erfüllt. Die Natur habe „durchatmen“ können, so Stoll.

Die hohen Temperaturen im Frühjahr hatten einen frühen Austrieb zur Folge, gefolgt vom Blütebeginn zum Ende der ersten Juniwoche und dem Reife-Start Mitte August. Der viele Regen forderte die Winzer im Kampf gegen die beiden gefährlichsten Krankheiten im Ertragsweinbau: Den falschen (Peronospora) und echten (Oidium) Mehltau. Vor allem die Ökowinzer waren deshalb beim Pflanzenschutz stark gefordert und musste laut Stoll etwa doppelt so häufig zum Spritzeinsatz in die Weinberge als ihre integriert wirtschaftenden Kollegen. Stoll hält es für möglich, dass Mehltaubefall mit der Folge reduzierter Photosynthese ein Grund für die Reifeverzögerung sein könnte. Für Praktiker wie Seyffardt liegen die Ursachen ebenfalls nicht auf der Hand: „Ich erlebe das so zum ersten Mal, und es kommt immer anders, als man denkt.“

Glimpflich davongekommen ist der Rheingau zwischen dem 22. und 26. April, als Spätfröste in einigen Teilen Deutschlands hohe Schäden in der Landwirtschaft verursachten. Weil die Hauptlese noch gar nicht begonnen hat, sind die Ernteerwartungen im Hinblick auf Qualität und Quantität  noch mit großen Unsicherheiten behaftet. Entscheidend wird auch das Wetter in den kommenden vier bis sechs Wochen sein. Ergiebige Regenfälle wurden die Erwartungen weiter eintrüben. Noch aber gebe es überhaupt keinen Grund für Panik, so Seyffardt. Der Weinbau sei jedes Jahr aufs Neue eine Herausforderung: „Es gibt keine Blaupause“. (leicht gekürzt aus meinem Bericht in der FAZ vom 24. September)

Im gelobten Land: Baden

Endlich mal wieder eine Woche am Kaiserstuhl und in der Ortenau, wo ich mich als gebürtiger Badener natürlich besonders wohl und heimisch fühle. „Mit jedem Schluck heimischen Weins, den sie genießen, tragen Sie als Freunde des Kaiserstuhls zum Erhalt der jahrhundertealten wertvollen Kultur und Landschaft in vielfältiger Weise bei“, hieß es dort am Wegesrand. Wohl wahr, aber gilt natürlich auch für den Rheingau.

Natürlich haben wie viele Klassiker getrunken (Dr. Heger, Huber, Franz Keller, Bercher, Salwey, Abril u.a.), aber auch zwei bemerkenswerte Neuentdeckungen gemacht: Höfflin und Konstanzer. Höfflin hat ein überaus spannendes Konzept, mag Piwis und überdies Natur- und Orangeweine. Dass ich als ausgewiesener Orange-Wein-Hasser den Naturreich-Chardonnay gelobt und sogar gekauft habe, will etwas heißen. Das ist auf jeden Fall ein Tipp für jeden, der demnächst in die Region um Bötzingen reist. Hingehen und probieren! Das gilt auch für Konstanzer, wo gerade die Umstellung auf ökologischen Anbau vollzogen wurde. Spannende Weine mit einem sehr guten Preis-Leistungsverhältnis, vor allem der Chardonnay und der Spätburgunder „Winklen“ überzeugten mich restlos (gekauft!) Ansonsten eine auch kulinarisch gelungene Woche mit Sauerbrauten, Rostbraten, Maultaschen, Spätzle und mehr. Wer in der Ortenau übernachten und speisen will, dem sei der Rebstock in Durbach wärmstens empfohlen, wo mehrere Prädikatswanderwege mit phänomenaler Aussicht locken.

Droht ein Flickenteppich?

Wird die Kulturlandschaft des Rheingaus als Folge der Weinmarktkrise zum Flickenteppich aus verwilderten und brach gefallenen Weinbergen? Mehr Engagement für die Artenvielfalt könnte ein Ausweg sein. Die aktuelle Krise des Weinbaus ist keine „Delle“ von überschaubarer Dauer, sondern Ausdruck eines tiefgreifenden Wandels. Gerade erst ermittelten Marktforscher, dass die Weineinkäufe der privaten Haushalte im ersten Halbjahr um fast vier Prozent rückläufig waren. Damit setzte sich der Negativtrend der beiden Vorjahre fort. Die globale Überproduktion von Wein trifft auf sich wandelndes Konsumverhalten, auf ein wachsendes Gesundheitsbewusstsein, eine größere Distanz auch der jüngeren Generation zum Alkohol und eine immer älter und deshalb schrumpfende Generation leidenschaftlicher Weintrinker.

Die Destillation von Millionen Liter Wein zu Alkohol wie im vergangenen Jahr in Württemberg verschafft nur kurzfristig Erleichterung im Keller. Eine nachhaltige Marktentlastung setzt die Rodung von Weinbergen voraus. Diese Einsicht ist auch im Rheingau angekommen. Auf der jüngsten Sitzung des Hauptausschusses des Rheingauer Weinbauverbandes wurde als eine Ursache der Absatzkrise in Deutschland der mangelnde Weinpatriotismus identifiziert. Das sei in Nachbarländern wie Frankreich oder Österreich anders, so die Meinung der Winzer. Der Deutsche sei nicht bereit, für deutsche Weinqualität mehr Geld auszugeben als für die spanische Konkurrenz, die deutlich günstiger produzieren könne. Auch das bestätigen Markterhebungen:  Der inländische Marktanteil der hiesigen Erzeuger ist im ersten Halbjahr 2024 überproportional auf 42 Prozent gefallen.

Für Gesprächsstoff in der Branche sorgen zudem Zahlen des Deutschen Weininstituts, wonach im ersten Halbjahr noch gut 40 Prozent der deutschen Haushalte zumindest gelegentlich Wein eingekauft haben. Die Absatzanalyse der Hochschule Geisenheim bestätigt einen anhaltenden Negativtrend mit einem jeweils zweistelligen Minus bei Absatz und Umsatz. Liegt es am Marketing? Sollten die Erzeuger besser Betriebswirtschaftslehre statt Weinbau studieren und sich auf Verkauf und Vertrieb ihrer Erzeugnisse konzentrieren, statt selbst mit dem Schmalspurtraktor durch die Rebzeilen zu fahren oder die Rebstöcke von Hand zu pflegen?

Nach Ansicht von Weinbaupräsident Peter Seyffardt hat es der Rheingau jedenfalls nicht geschafft, eine überzeugende Marke zu bilden. Der Rheingau müsse über eine Qualitätsoffensive nachdenken, was Verbandsgeschäftsführer Dominik Russler für den einzig erfolgversprechenden Weg in die Zukunft hält. Denn bei den Produktionskosten kann der Rheingau nach übereinstimmender Analyse aller Beteiligten nicht mit dem meisten anderen deutschen Weinregionen und schon gar nicht im internationalen Maßstab mithalten. Die Rheingauer wollen sich darauf besinnen, dass sie nur für drei Prozent der deutschen Weinproduktion stehen und diese geringe Menge in der bevölkerungsstarken und wirtschaftlich prosperierenden Rhein-Main-Region eigentlich gut vermarktbar sein müsste. Doch die Realität sieht anders aus, und die Ursache bleibt den Winzern rätselhaft.

Hoffnung macht ihnen, dass nach ihrer Überzeugung die naturräumliche Ausstattung des Rheingaus mit dem Rhein im Süden und dem waldreichen Taunus im Norden sowie dem anmutigen Landschaftsbild ein Pfund vorhanden ist, mit dem sich nicht nur in der Rhein-Main-Region wuchern lässt. Vielen Betriebe gehe es wirtschaftlich noch immer sehr gut, sagte Präsident Seyffardt, der dazu auch sein eigenes, gerade erst um eine neue Kellerei erweitertes Weingut in Martinsthal zählt. Andere Erzeuger gehen davon aus, dass die Aussichten auf dem Heimatmarkt düster bleiben und die Hoffnung bei absehbar reduzierter Rebfläche im Export liegt, wo höhere Preise durchsetzbar erscheinen. Die Vorboten einer Flächenreduktion sind dennoch auch im Rheingau erkennbar, denn die Pacht- und Kaufpreise für durchschnittlich gute Weinberge sind im Sinkflug, und vereinzelt fallen dem Wanderer nicht mehr bewirtschaftete Flächen auf. Sie sind den Winzern ein Dorn im Auge, weil sie zur Verbreitung von Schädlingen und Krankheiten beitragen, häufig zuwuchern und Wildschweinen ein Versteck bieten. Der Marktpreis für Fasswein liegt mit rund 80 Cent je Liter unter den Produktionskosten im Rheingau.

Sind deshalb gezielte Brachflächen eine Lösung, um mit dem Druck des Weinmarktes umzugehen? Immerhin haben die Winzer nach dem Roden der Rebstöcke zwei Jahre Zeit, Anträge auf Wiederbepflanzung zu stellen und dann noch einmal sechs Jahre, um tatsächlich neue Rebstöcke setzen zu lassen. Das könnte temporäre Entlastung bringen oder den Weg  zum Ausstieg aus der Bewirtschaftung ebnen. Doch eine Kulturlandschaft als „Flickenteppich“ schreckt viele, wenn auch nicht alle Winzer. Wie mit diesen Brachflächen umzugehen wäre, darüber müssen sich die Winzer noch Gedanken machen. Kompliziert wird eine zügige  Bodenneuordnung jenseits der Jahrzehnte dauernden Flurbereinigung durch die kleinstrukturierten und komplizierten Besitzverhältnisse. Manche Parzelle gehört einer Erbengemeinschaft in fünfter Generation. Branchenkenner gehen davon aus, dass absehbar viele Kleinstwinzer im Rheingau aufgeben, deren Flächen sich aber auf 300 bis 400 Hektar summieren. Angesichts der Absatzkrise gilt die Neigung der Großbetriebe als sehr überschaubar, immer noch weitere Weinberge in ihr Portfolio aufzunehmen.

Was tun? Weinberge müssen gerodet werden, um den Gesetzen des Marktes zu folgen. Das ist auch die Überzeugung des Geschäftsführers der Staatsweingüter, Dieter Greiner, der die Erarbeitung einer Art Masterplan für den Rheingau fordert und eine Antwort auf die Frage zu finden: Wie könnte die Weinbergslandschaft der Zukunft aussehen?

Ilona Leyer vom Institut für angewandte Ökologie der Hochschule Geisenheim entwickelt Ideen, wie der Erhalt der Kulturlandschaft und mehr Engagement für die Artenvielfalt Hand in Hand gehen können. Sie plädiert dafür, mehr Vielfalt in die Monotonie der Weinbergslandschaft zu bringen. Ein Konzept nach dem Motto „zurück in die Zukunft“, denn in der Vergangenheit war die Weinbergslandschaft viel kleinteiliger mit der Folge von mehr Säumen, Rainen, Hecken, Gräben, Bäumen und Lesestein-Haufen. Das Rad sei zwar nicht um ein halbes Jahrhundert  zurückzudrehen, so Leyer, doch hätten es die Winzer in der Hand, kleine Ecken und Zipfel von Weinbergen, wo meist nur einige wenige Rebstöcke stehen, für mehr Artenvielfalt freizugeben. In ganz Deutschland beteiligen sich inzwischen mehr als 30 Weingüter an diesem Konzept, im Rheingau zählen die Staatsweingüter und das Rüdesheimer Weingut Georg Breuer dazu.

Zur Veränderung der Weinbergslandschaft gehört auch eine Zäsur beim Wassermanagement. Lange Betonrinnen gen Rhein zeugen noch von der Philosophie, das Niederschlagswasser möglichst schnell aus den Weinbergen abzuführen. Angesichts der sich häufenden  Dürrephasen und dem Trockenstress der Reben in wasserdurchlässigen Böden hat ein Umdenken eingesetzt. Es geht nun darum, das Wasser möglichst lange in der Gemarkung zu halten und es dort zu versickern, statt schnell in den Rhein abzuleiten. „Die Flurbereinigung muss komplett umdenken“, sagt Seyffardt, der die Bestrebungen der Stadt Eltville für ihre Bemühungen lobt, das Regenwasser möglichst lange in den Weinbergen zu halten.

Im Geisenheimer Fuchsberg wird gerade eine solche Betonrinne in ein Bachbett mit Mulden und Mäandern umgebaut, und „das funktioniert sehr, sehr gut“, so Leyer. Der Umbau trage zur Artenvielfalt und zum Hochwasserschutz bei und helfe den Reben, sagt die Professorin, die zudem für mehr Blühstreifen, für breitere Rebzeilen mit dauerhafter Begrünung in der Mitte und der Pflanzung von Solitärbäumen plädiert. Nicht alles überzeugt die Winzer. Viele haben die Sorge, dass mehr Brachflächen verwildern und zum Hort von Wildschweinen werden. Auch Bäume im Weinberg werden skeptisch gesehen, weil sie die Wasserversorgung der Reben stören könnten. Am wenigsten scheint  die Winzer der überschaubare Ertragsverzicht durch mehr Engagement für Artenvielfalt und Strukturreichtum in der Weinkulturlandschaft zu schrecken. Denn Wein gibt es mehr als genug.   

(aus meinem Bericht für die FAZ) 

Riesling, eingedost…

habe ich meinen Artikel in der FAZ vom 3. September über ein Treburer Startup übschrieben…

Was bei der Abfüllung von Bier und Mineralwasser seit Jahrzehnten geübte Praxis ist, scheint für Wein noch immer undenkbar: ein Mehrwegsystem mit Pfandflaschen. Dabei ist die Einweg-Glasflasche unter Nachhaltigkeitsaspekten für die Winzer eine große Bürde, denn sie steht für knapp die Hälfte des CO2-Fußabdrucks eines Weinguts. Zwar versuchen inzwischen einige Weingüter, ihre Stammkunden zur Rückgabe des Altglases zu bewegen, um diese anschließend spülen zu lassen. Andere setzen auf Leichtglasflaschen oder testen die Akzeptanz von Bier-Mehrwegflaschen für Wein. Ein Durchbruch scheint aber in Deutschland noch nicht in Sicht. Und Wein im Tetrapak-Karton genießt hierzulande keinen guten Ruf.

Ein Ehepaar aus dem südhessischen Trebur versucht jetzt mit einer anderen, den Verbrauchern gut vertrauten Verpackung Bewegung in die der Tradition verhaftete Branche zu bringen: Wein in Dosen. Lisa und Thomas Quandt haben die Dose für Riesling und andere Sorten gewissermaßen neu entdeckt: schlank, hoch, ansprechend bedruckt und – vor allem – nicht mit Weinen von der Resterampe einer Kellerei, sondern mit Qualitätstropfen ambitionierter Erzeuger befüllt.

Die familiären Beziehungen zum renommierten Pfälzer Weingut Motzenbäcker und zur Winzerin Marie Menger-Krug erleichterten es, der Idee einen Testlauf folgen zu lassen. Mit Rosé, Sauvignon blanc und einem Riesling aus dem in Deidesheim beheimateten Ökoweingut ging es los. Was aber sagen die Kunden? Immerhin müssen sie rund 4,50 Euro je Dose auf den Tisch legen, was sich bei drei Dosen in etwa zum Flaschenpreis ab Weingut summieren würde. Die Kunden müssten langsam an das Produkt herangeführt werden, gibt das Ehepaar Quandt zu. Ob die Mehrzahl der Käufer den Wein direkt aus der Dose trinkt oder ihn in ein Glas umfüllt, können die beiden Geschäftsleute bisher nur vermuten. Sie gehen aber von erster Variante aus, was dem Weinkenner ein neues Vorgehen beim Kosten abverlangt. Denn riechen lassen sich die Weinaromen aus der Dose nur schwer. „Bei der Dose ist es umgekehrt wie mit dem Glas“, sagt Quandt: Erst ist der Gaumen dran, danach folgt die Nase.

Die Zielgruppe der jungen Weingenießer, die vor allem an unkompliziertem Genuss Interesse haben, dürfte das nicht stören. Bei der Nachhaltigkeit ist die Dose der schweren Glasflasche jedenfalls voraus. Zumal das Ehepaar Quandt geschafft hat, was viele Weingüter bislang scheuen: die aufwendige und langwierige Zulassung für das deutsche Pfandsystem. Die etwa zwölf Gramm leichten Dosen können somit zusammen mit den Bier- und Wasserflaschen am Rückgabeautomaten im Supermarkt entsorgt werden – gegen 25 Cent Rückvergütung je Dose.

Das Sortiment umfasst inzwischen neben Riesling, Rosé und Sauvignon blanc auch einen Weiß- und einen Grauburgunder sowie die deutsche Traditionssorte Scheurebe. Hinzu kommt eine Weinschorle mit einem Riesling des Eltviller Weinguts Blumensatt. Anlässlich des Fanfestes zum Pokalfinale zwischen dem 1. FC Kaiserslautern und Bayer Leverkusen gab es 12.000 Dosen einer Sonderedition Schorle in Kooperation mit dem Pfälzer Weingut Tina Pfaffmann. Und zum Münchner Oktoberfest gibt es eine weitere Sonderedition.

Der Wein in den recycelbaren Dosen sei einfach zu transportieren, bruchsicher, leicht und damit geeignet für alle Outdoor-Aktivitäten und geselligen Veranstaltungen wie Picknicks, Grill- oder Poolpartys und auch bei Konzerten, lauten die wichtigsten Argumente.

Punkten könnten die Dosen auch überall dort, wo Gewicht und Größe von Bedeutung sind wie in Flugzeugen oder in der Bahn, aber auch in der Minibar von Hotels. Die Umweltbelastung sei geringer als bei Glas, die Portionsgröße bei vielen Gelegenheiten „perfekt“. Die Hoffnung ist, dass Wein in Dosen absehbar so selbstverständlich wird wie Schraubverschlüsse statt Korken auf Weinflaschen. Auch für alkoholfreie Weine sehen sie eine gute Chance in der Dose. Mit dem Rheingauer Weingut Leitz gibt es dazu jetzt eine enge Kooperation: Der Sparkling Rosé „Eins-Zwei-Zero“ ist schon eingedost. (leicht gekürzte Fassung meines FAZ-Textes)

Die 23 bei Jakob Jung, Erbach

die Spitzen des Jahrgangs reifen bei Jung in Erbach noch, aber die solide Basis bestätigt alle meine hohen Erwartungen an den Jahrgang 2023. Bei Jakob Jung überzeugt auf Anhieb der trockene Erbacher Ortswein, der unglaublich viel Wein für unglaublich wenig Geld ist. Der vdp-Gutswein hingegen ist eine echte Fruchtbombe, bei der diesmal Ananas dominiert und der eine schöne Visitenkarte und der perfekte Einstieg ins Sortiment ist. Deutlich ernsthafter die „Alten Reben“, die viel Terroir ins Glas zaubern und einen schönen, langen Nachhall kreieren. Bei der Weißburgunder & Chardonnay-Cuvée dominiert für mich zu sehr der Weißburgunder. Ein wenig trauere ich noch immer dem reinen Chardonnay nach, den es vor vielen Jahren noch gab. Diese Art von W&C Cuvée sehe ich im Übrigen immer öfter in Sortimenten von Weingütern. Sie kann einen guten Chardonnay pur aber nicht gefährden. Bei den Großen Gewächsen bestätigt sich, dass der Jahrgang 2021 der charmantere ist, mit vibrierender Säure und einem schönen Spannungsbogen, der mehr verspricht als 2022, sowohl jetzt als auch auf die lange Distanz. 2021 Siegelsberg wäre in jedem Fall ein empfehlenswerter Kauf! Auf die 2023er GGs sind wir schon jetzt gespannt…

Wegelers Große Gewächse

Doosberg, Jesuitengarten, Morschberg, Rothenberg, Schlossberg – das sind die fünf Großen Gewäche des Jahrgang 2020 der Weingüter Wegeler im Rheingau, und sie sind im Glas so unterschiedlich wie die Böden und die klimatischen Verhältnisse. Wegen seiner wunderbaren Balance, der Eleganz, der feinen Frucht und perfekt integrierten Säure hat der Rothenberg auf meinem Gaumen die Nase vor, knapp vor dem majestätischen Schlossberg und dem zupackenden Morschberg. Nebenbei: das 2014er Rothenberg GG zeigt, warum diese Weine ein paar Jahre liegen sollten: ein Wow!-Wein

Von der Mosel stellte der 2022 Doctor GG erwartungsgemäß Lay und Graben deutlich in den Schatten. Ich habe für den Doctor in diesem Status 94 Punkte notiert, doch könnten im Lauf der Reife noch 1-2 Punkte hinzukommen.

Schon jetzt über der 95 Punkte-Marke liegt der 2020 Höllenberg Spätburgunder Großes Gewächs. Ein Monument, mit 49 Euro ein Schnäppchen und daher eine unbedingte Kaufempfehlung!

Dankbar bin ich Wegeler, dass hier so häufig Geheimrat J-Vertikalen möglich. Diesmal wurden neun Jahrgänge gezeigt, die drei ältesten (1992, 1988, 2000) aus der Doppelmagnum. Fazit: Aktuell sind 1992 und 2017 sowie 2011 ganz groß, während 2016 ein bisserl durchhängt. Wie sich 2021 und 2022 entwickeln (ich sehe 21 klar vor 22), muss ich erst noch zeigen…. Für 2021 bin ich bester Hoffnung!   

Aus meinem Verkostungstagebuch

… wie gewohnt kurze Notizen über das, was zuletzt im Glas und bemerkenswert war… wie z.B.

Armin Polz, Kiefer

2020 Sauvignon blanc Unlimited

ein expressiver Sauvignon aus der Südsteiermark, kein Leisetreter, sondern ein aromenstarker Lautsprecher, der nach einem rustikalen Vesper verlangt. Dann perfekt!

Gross, Südsteiermark

2021 Sauvignon blanc Ehrenhausen

sehr fein, elegant, ein Sauvignon wie ich ihn mag. Nicht zu laut, eher kühl und immer nach dem nächste Schluck verlangend.

Arunda Sektkellerei, Mölten

Arunda Extra brut – ich liebe diese Sekte aus Südtirol. Viel Grip am Gaumen, guter Nachhall, feine Perlage, lecker

Weingut Grimm, Geisenheim

2023 Rüdesheimer Riesling & 2023 Riesling Alte Reben trocken

noch unter dem Radar, aber sicher nicht mehr lange. Zwei sehr gute Riesling mit gutem Trinkfluss, fein balanciert, mehr davon!

Weingut Schwedhelm, Zellertal

2021 Kreuzberg Riesling & 2021 Schwarzer Hergott

da kommt Freude auf: zwei blitzsaubere Riesling aus jener Ecke der Pfalz, die viel zu wenig beachtet wird. Dabei ist der Schwarze Hergott wirklich eine Toplage, aus der superfeine Wein gekeltert werden können

Dr. Heger, Ihringen

2020 Ihringer Winklerberg Chardonnay

Nein, nicht das „Große Gewächs“, aber ein ganz großes Gewächs: Superelegant, kein Gramm zuviel auf der Hüfte, so muss deutscher Chardonnay schmecken!

Robert Weil, Kiedrich

2021 Klosterberg Riesling trocken

langsam macht der Klosterberg immer mehr Spaß und zeigt seinen eigenständigen Charakter unter den 3 Kiedricher Berglagen. Aber immer typisch Weil: kühl, salzig, auf der eleganten Seite, Trinkfluss enorm

Wo sind die Weinpatrioten?

… so habe ich meinen FAZ-Kommentar zur Vorpremiere Großes Gewächs 2024 des VDP in den Wiesbadener Kurkolonnaden überschrieben. An der Güte des Weines liegt es jedenfalls nicht, dass zu wenig deutscher Wein getrunken wird.

Ich habe mich eingereiht unter die rund 200 Weinprofis aus 25 Ländern – darunter Gastronomen, Händler, Journalisten und Sommeliers –, die an drei Tagen insgesamt 462 Große Gewächse in 82 Flights verkosten. Insgesamt wurden laut VDP in diesem Jahr sogar 561 Große Gewächse aus 312 Weinbergen geprüft und zugelassen, aber nicht alle wurden jetzt präsentiert.

Gerade beim Riesling zeigt sich, dass 2023 außergewöhnlich gute Weine mit feiner Frucht, Tiefe und Eleganz hervorgebracht hat. Laut VDP wird 2023 als „bemerkenswert guter Jahrgang“ in die Weingeschichte eingehen, und das sehe ich nicht anders. Und  2022 stellt sich als phänomenales Jahr für deutschen Rotwein heraus, wie die Verkostung der Spätburgunder renommierter Erzeuger bestätigte.

Ich selbst habe mich diesmal auf die weißen Nicht-Rieslinge konzentriert:

Chardonnay: Insgesamt ein Dutzend feine Exemplare aus Baden, mit klaren Favoriten für mich. Seegers 2023 Herrenberg Lange Wingert steht für mich herausragend gut da, ebenso 2022 Dr. Hegers Winklerberg Hinter Winklen und nicht minder gut die 2022er Pagode von Stigler. Sehr geschliffen und würzig begeisterte mich überdies Franz Kellers 2022 Kirchberg. Winzer, pflanzt mehr Chardonnay, das gefällt mir saugut.

Grauburgunder: Eigentlich mag ich die Rebsorte nur mäßig, und wie sich diesmal wieder zeigte: „wenn überhaupt, dann nur vom Kaiserstuhl! Sehr straff und fein Hegers Schlossberg, daneben auf Augenhöhe die Bassgeige Kähner, beide 2022, von Franz Keller. Toll auch Salweys Henkenberg, das lässt sich trinken… und auch 2023 Herrenberg Oberklam von Seeger.

Weißburgunder: Durchweg besser für mich als fast alle Grauburgunder! Überraschend gut für mich der 2023 Schlossberg von Neipperg, und auf gewohnt gutem Niveau der 2023 Edelacker von Pawis, ganz knapp hinter 2022 Schloss Proschwitz. In der Pfalz hatten Siegrist und Jülg – beide mit einem fantastischen Sonnenberg – die Nase für mich vorn, wobei Knipsers 2023 Kirschgarten den Charme der Jugend auf seiner Seite hatte. Unerwartet betört wurde ich von einem 2023 Oberer First von Schlör aus Baden (neu entdeckt für mich), der mit ebenso gut gefiel wie Salweys Kirchberg und Seegers Oberklam. Mit dabei ganz vorne aber auch Dr. Hegers Winklerberg Hinter Winklen.

Silvaner: knapp 20 Exemplare aus Franken verkostet und ich gebe zu: die Guten haben mich mehr begeistert als fast alle Weißburgunder!  Ganz vorne mit dabei Horst und Rainer Sauer sowie das Weingut Schwane, jeweils mit ihrem „Am Lumpen 1655“. Sehr, sehr gut auch Hans Wirsching und Rudolf May, und für mich immer eine Silvaner-Bank: Ludwig Knolls 2022 „Am Stein“.

Riesling-Tankstellen

Die Weinprobierstände im Rheingau sind nicht nur ein lukrativer Absatzkanal. Sie befördern auch den Weintourismus und sind ein sozialer Treffpunkt für alle Generationen.

„Wein ist der gute Geist der Geselligkeit. Er weckt die Lebensgeister, macht den Sorgenvollen optimistisch, den Mürrischen heiter, den Reichen zugänglich und den Introvertierten gesprächig.“

Ein Zitat, das zwar keinen namentlich bekannten Verfasser hat, aber die alltäglichen Erfahrungen an den Weinprobierständen des Rheingaus gut zusammenfasst. Gäbe es sie nicht schon seit mehr als fünf Jahrzehnten, sie müssten nach Überzeugung der Winzer dringend erfunden werden. Denn die Weinstände gestatten nicht nur eine unkomplizierte Annäherung an das vermeintlich komplizierte Naturprodukt Wein, sondern haben vielfältige Funktionen. Sie sind ein Pfund in der weintouristischen Strategie des Rheingaus. Sie sind ein niedrigschwelliger Absatzkanal, und sie sind für viele Winzer von beachtlicher ökonomischer Bedeutung. Vor allem aber sind sie ein sozialer Treffpunkt für alle Generationen.

Davon schwärmt auch Uwe Rußler. Der umtriebige Winzer, der in Rauenthal eine sehr gut frequentierte Gutsschänke besitzt, betreibt mit jeweils anderen Winzerkollegen gleich zwei Weinprobierstände. Jenen am Rauenthaler Ortsrand, der eine schöne Aussicht ins Rheintal gewährt, und jenen am Biebricher Rheinufer. Die Unterschiede könnten nicht nur wegen der Lage kaum größer sein. Der Rauenthaler Stand ist vor allem ein Treffpunkt der Einheimischen zum Plausch und am Wochenende bei schönem Wetter eine beliebte Raststation für die vielen Ausflügler nahe dem Aussichtspunkt Bubenhäuser Höhe.

In Biebrich hingegen, dem einwohnerstärksten Stadtteil der Landeshauptstadt Wiesbaden, ist der Weinstand seit gut zwölf Jahren integraler Bestandteil der örtlichen Gastronomie. Er zählt laut Rußler viele Stammgäste, von denen einige fast täglich auf ein Glas vorbeischauen. Das „Antrinken“ im Frühjahr und das „Abtrinken“ im Herbst sind Veranstaltungen mit Kultstatus, bei denen auch die lokale Politprominenz in großer Zahl mit Riesling anstößt. „Sehen und gesehen werden“ ist dann das Motto. Sieben Rheingauer Winzer wechseln sich in Biebrich im Wochenrhythmus bei der Bewirtung ab. Ein höchst lukratives Geschäft, gibt Rußler zu. Eine Woche im Weinstand kann bei gutem Wetter mehr Umsatz bringen als manches gut laufende Weinfest, obwohl sich die Besucher ihre Speisen selbst mitbringen müssen – und dürfen.

Anders als in Rauenthal lassen sich in Biebrich die Stammgäste auch von ein paar Regentropfen nicht abschrecken. Aus der Nähe zum Winzer am Weinstand und wachsender Verbundenheit entstehen Bekannt-und Freundschaften, aber auch enge Kundenbeziehungen. Das bestätigt der Kiedricher Bürgermeister und Winzer Winfried Steinmacher, der in Biebrich ebenso ausschenkt wie am kürzlich mit europäischen Fördermitteln aufgehübschten Weinstand in Kiedrich. Ungezwungen nach einem Spaziergang ein Glas Wein zu trinken und Bekannte zu treffen, das hält Steinmacher aus Kundensicht für die größten Stärken der Weinstände. Und wenn Kinder dort ungezwungen spielen können, nimmt die Attraktivität für Familien noch einmal zu.

Es waren die treuen Privatkunden, die vielen Erzeugern über die Absatzkrise hinweggeholfen haben, als Restaurants zugesperrt, Weinfeste abgesagt und Exportmärkte verschlossen waren. Sobald die Weinstände an der frischen Luft wieder öffnen durften, waren sie besonders umlagert, erinnert sich Steinmacher. Kein Wunder also, dass die sieben am Biebricher Weinstand beteiligten Winzer derzeit keine weiteren Kollegen aufnehmen wollen, um den Erfolg zu teilen. „Die Tür ist zu“, bestätigt Rußler. Ein Fingerzeig darauf, wie gut das Geschäft läuft, ist die sechsstellige Summe, die die Winzer kürzlich in einen Neubau des Weinprobierstands investiert haben, mit finanzieller Unterstützung der Wirtschaftsförderung der Stadt Wiesbaden. Denn im Rathaus ist die Bedeutung der Weinprobierstände wohlbekannt. Andere Wiesbadener Stadtteile haben inzwischen nachgezogen mit Weinprobierständen, die von Vereinen betrieben werden und die dazu Winzer einladen.

Insgesamt gibt es mehr als zwei Dutzend Weinprobierstände im gesamten Rheingau. Die meisten liegen aufgereiht wie eine Perlenschnur entlang des Leinpfads am Rheinufer, einige aber auch in den Höhenstadtteilen wie Rauenthal, Johannisberg und Hallgarten. Bei den Auswärtigen besonders beliebt ist der Stand am Eltviller Rheinufer, weil er sich in die Flaniermeile am Ufer einfügt und sich jeder Abstecher gut mit einem Besuch der Eltviller Burg nebst Rosengarten und der hübschen Altstadt verbinden lässt. Bisweilen ist der Andrang so groß, dass Einheimische lieber ins ruhigere Kiedrich ausweichen, sagt Steinmacher.

Sehr beliebt ist auch der Wallufer Weinprobierstand neben dem Segelhafen, der in einem 16.000 Liter fassenden Holzfass untergebracht ist. Er hat durch die Umgestaltung des Rheinufers noch einmal an Attraktivität gewonnen. Hier stoppen zwischen Ostern und dem Beginn der Weinlese viele Radfahrer auf der Route zwischen Schiersteiner Hafen und Eltville. Seine Beliebtheit reicht aber nicht bis an die Hattenheimer „Fässer“ an den Rheinwiesen heran, die seit fast 50 Jahren ein Treffpunkt sind. Nur eine große Wiese trennt die Zecher hier vom Rheinufer.

Jeder Weinprobierstand hat sein eigenes Profil, seine eigenen Regeln – die hin und wieder intern auch für Ärger unter den Winzern sorgen – und sein eigenes Stammpublikum. Das informiert sich meist vorher, welcher Winzer gerade den Stand hat, ob dessen Weinsortiment den eigenen Vorlieben entspricht. Der Weinbauverband gibt jedes Jahr eigens einen Faltplan heraus, in dem alle Winzer mit ihren jeweiligen Präsenzzeiten an allen zwei Dutzend Ständen verzeichnet sind.

Verbandsgeschäftsführer Dominik Russler sieht in den Probierständen „äußerst wichtige Institutionen und Treffpunkte für einen eher unverbindlichen Weingenuss in netter und entspannter Atmosphäre“. Wichtig seien sie nicht nur für Touristen, sondern auch für Einheimische. Eine so große Dichte wie im Rheingau gebe es kaum in anderen Weinanbaugebieten. Dass sie „wirtschaftlich äußerst erfolgreich sein können“, zeigten Weinstände auch abseits der Weinberge wie in Biebrich. Den Winzern böten sie eine gute Plattform, sich Bestands- und Neukunden zu präsentieren, das 0,1-Liter-Standardglas lade zum Probieren ein.

Laut Russler berichten die Winzer allerdings von einer leichten Konsumzurückhaltung im Vergleich zu den Vorjahren, was auch der Kiedricher Steinmacher bestätigt. Der Andrang während der Pandemie sei wieder abgeebbt. Das Geld sitze nicht mehr so locker. Der Verzicht gehe einher mit dem sinkenden Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland, der auch in der Gastronomie bemerkbar sei, meint Russler. Weinprobierstände haben gleichwohl Zukunft, und auch außerhalb des Rheingaus werden immer wieder neue eröffnet. Ein weiterer Trend: Alkoholfreie Weine und Sekte gehören an den meisten Weinständen zum Standardsortiment. Eine Traubensaftschorle allein genügt nicht mehr, bestätigt Winzer Uwe Rußler, der jedes Jahr schon einige Tausend Liter alkoholfreien Wein verkauft.

Nach Einschätzung des Weinbauverbands sind die Weinprobierstände zu einer „sozialen Institution“ geworden. Ein Treffpunkt wie einst der dörfliche Marktplatz, der wegen der attraktiven Lage am Rhein oder wegen der beschaulichen Ruhe der Höhengemeinden auch bei Familien mit Kindern sehr beliebt sei. Jede Winzergemeinschaft müsse mit Blick auf ihre Zielgruppen den eigenen Stand ausrichten und profilieren. Dann werde er auch erfolgreich sein. (mein Text aus dem FAZ Metropol-Magazin vom August 2024)