Newsflash: Neue Gastronomie auf Schloss Johannisberg

Die Eigentümerin und Betreiberin des Favorite Park Hotels in Mainz, Familie Barth, hat zum 1. Mai die Verantwortung für die Gastronomie und die Veranstaltungsbetreuung auf Schloss Johannisberg im Rheingau übernommen. Dazu gehören das Restaurant Schlossschänke, der Weingarten, der Veranstaltungsraum „Fürst von Metternich Saal“ sowie der Ausschank am „Goethe-Blick“ über den Weinberg. Nach dem Rückzug der Münchner Gastronomie-Familie Kuffler hatte das Schloss die Gastronomie zunächst in eigener Verantwortung betrieben. Nun teilt Schloss Geschäftsführer Stefan Doktor mit, die Entscheidung sei gefallen, „einen starken Partner für die Gastronomie und Standortaktivitäten an unserer Seite zu wissen“, der langjährige Erfahrung und viel Professionalität einbringe. „Wir möchten die Tradition des Hauses mit neuer Energie und herzlicher Gastfreundschaft verbinden“, sagt Christian Barth, Geschäftsführender Gesellschafter des Favorite Parkhotels. Anspruch sei es, „das gastronomische Erlebnis auf Schloss Johannisberg weiterzuentwickeln – mit höchster Qualität, Liebe zum Detail und echter Leidenschaft für die Region.“

Mainzer Weinbörse 2025

In einem für die Weinbranche schwierigen Umfeld haben die Prädikatsweingüter (VDP) die traditionsreiche Mainzer Weinbörse veranstaltet. In der Rheingoldhalle erwarteten die deutschen Spitzenweingüter an beiden Messetagen insgesamt mehr als 4000 Fachbesucher aus Handel, Gastronomie und Medien. Ihnen stellten 190 der insgesamt 202 VDP-Winzer den aktuellen Jahrgang und ausgewählte Spitzenweine vor. Die Messe ist nicht nur Branchentreffen, sondern auch als Gradmesser für Lage im Weinmarkt.

Die VDP-Weingüter stehen für einen Umsatz von knapp 450 Millionen Euro (2024) bei einem Gesamtabsatz von 35,7 Millionen Flaschen. Das sind zehn Prozent weniger als im Vorjahr (39,7 Millionen Euro Flaschen). Beim Umsatz lag das Minus aber nur bei drei Prozent.

Sie bewirtschaften mit 5800 Hektar rund 5,6 Prozent der deutschen Rebfläche. Der Export hat mit – stabil gebliebenen – 25 Prozent unverändert einen hohen Stellenwert, wobei die skandinavischen Länder, die Niederlande und die Vereinigten Staaten die wichtigsten Exportmärkte sind. Wegen der Zoll- und Handelskonflikte, aber auch wegen der globalen Überproduktion von Wein, deutlich gestiegenen Produktionskosten und veränderten Trinkgewohnheiten sieht sich die Weinbranche unter Druck. Nach Angaben von VDP-Geschäftsführerin Theresa Olkus spüren auch die Mitglieder des Verbands Absatzrückgänge „auf allen Kanälen“. Auf die Weinbörse wirke sich die angespannte Lage aber weder im Hinblick auf die Zahl der teilnehmenden Winzer noch der angemeldeten Fachbesucher aus. „Die Stimmung ist gut“, sagt Olkus, die mit ihrem Organisationsteam trotz der neuen Zollschranken auch etliche Fachbesucher aus den Vereinigten Staaten willkommen hieß.  

Angesichts der Konsumschwäche können einige VDP-Betriebe es eher verschmerzen, dass mit 2024 ein mengenmäßig kleiner Weinjahrgang zu vermarkten ist. Mit einem Ertrag von nur 46 Hektolitern je Hektar fiel der Ertrag im zurückliegenden Herbst deutlich niedriger aus als in den vier Vorjahren. Zuletzt war nur im Jahr 2010 mit 41 Hektolitern weniger Wein geerntet worden. Ursache sind die Spätfröste im Frühjahr und Pflanzenkrankheiten durch Pilzbefall im Spätsommer, die je nach Weinregion jedoch unterschiedlich dramatische Auswirkungen hatten. Frostbedingte Missernten gab es unter anderem an Saale und Unstrut, Saar, Ruwer und Aar. Weil einzelne Winzer im Extremfall sogar nur sechs Prozent ihrer üblichen Durchschnittsmenge geerntet haben, ließ der Verband es ausnahmsweise zu, dass VDP-Winzer von VDP-Kollegen Weine zukaufen und sie mit dem VDP-Adler als Gütesiegel auszeichnen und verkaufen dürfen. Statt Adler trägt der Wein den Zusatz: „Ein Wein der Solidaritätsgemeinschaft VDP“. Weitere Hilfen für die besonders gebeutelten Weingüter sind angedacht.

Gute Fortschritte sieht der Verband beim Thema Nachhaltigkeit: Bis zur nächsten VDP-Mitgliederversammlung im Sommer im Rheingau sollen alle VDP-Betriebe nachhaltig zertifiziert sein. Schon jetzt wirtschaften 82 Weingüter ökologisch, 19 davon sogar biodynamisch. Damit wird nur noch knapp 60 Prozent der VDP-Rebfläche nach konventionellen Regeln bewirtschaftet.  Qualitativ erwartet VDP-Präsident Steffen Christmann einen guten Jahrgang, „geprägt von einer kühlen Aromatik, präzisen Struktur und einer lebendigen, gut eingebundenen Säure. Die Weine besitzen Spannung“, sagt Christmann und zieht Parallelen zu den Jahrgängen 2008 und 2016. Parallel zur Weinbörse zeigten 70 Ökowinzer aus sechs Ländern im Alten Postlager Mainz auf der „Biodynamic Wine Fair“ ihre Kollektionen. Ebenfalls im „Postlager“ fand die Vinvin Fachmesse für Herkunftsweine mit 100 Erzeugern aus Rheinhessen und Nahe statt.

Flurbereinigung im Weinbau

Die Zukunft des Weinbaus in den Steilhängen hängt von den Erschwernissen der Bewirtschaftung ab. Flurbereinigungsverfahren können helfen, doch ihre Dauer bedeutet für alle Grundeigentümer eine Nervenprobe

Die Neuordnung eines Flickenteppichs kleiner und kleinster Weinbergsparzellen hin zu größeren, zusammenhängenden Flächen, die maschinell und effizient bewirtschaftet werden können, trägt zum Erhalt der Kulturlandschaft bei. Doch die Flurbereinigung ist eine Generationenaufgabe und Geduldsprobe. Den Lorcher Winzer Gilbert Laquai hat sie fast sein gesamtes Berufsleben begleitet. Die ersten Begehungen der Weinberge fanden schon 1985 statt. Erst jetzt ist das Ende erreicht-

Was macht die Flurbereinigung einer auf etwa 30 Jahre angelegten Dauerkultur wie dem Weinbau so langwierig? Die Gründe sind vielfältig: Eigentümerwechsel durch Verkauf oder Erbschaft, mitunter schwierige Erbengemeinschaften, wechselnde Ansprechpartner in den Behörden sowie sich wandelnde Anforderungen und Wünsche von Winzern und Verwaltung.

Das Flurbereinigungsverfahren in Lorch steht beispielhaft für die Mühsal eines Verfahrens, das vielen Winzern vieles leichter machen soll. Der formelle Beschluss zur Neuordnung fiel im Jahr 1990, und damals hieß die Behörde noch Landesamt für Ernährung, Landwirtschaft und Landentwicklung. Für Lorch war das keine neue Erfahrung, denn nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg hatte es schon   Flurbereinigungsverfahren gegeben. Doch deren Ergebnisse waren nicht zukunftsfähig. „Die Voruntersuchungen haben aufgezeigt, dass aufgrund erheblicher Mängel ein rentabler Weinbau im Verfahrensgebiet nicht möglich ist“, hieß es zu den Gründen im Flurbereinigungsbeschluss zum Verfahren unter der Kennzeichnung „F964“.

Für die Winzer sollte in einem zweiten Anlauf der hohe Zeit- und Kostenaufwand der Bewirtschaftung verringert werden, um Betriebsaufgaben und Brachen zu vermeiden. Die mit einer Neigung von bis zu 40 Prozent steilen Lorcher Weinberge sollen besser für den Einsatz von Maschinen erschlossen, die Wegeführung optimiert, die Wasserführung verbessert und Wildschäden vorgebeugt werden.

„Nebenbei“ sollte zudem der Naturschutz durch die Anlage von Obstbaumwiesen und den Erhalt von Trockenmauern profitieren. Der historische, landschaftlich reizvolle Kaufmannsweg wurde als Wanderweg wiederhergestellt.

Insgesamt wurde für das Verfahren zunächst ein Gebiet von 232 Hektar in den Blick genommen, das in fünf Teilgebiete gegliedert wurde. Es wurde schließlich auf rund 116 Hektar verkleinert. Die Neuordnung dieser Flächen basierte auf einem im Jahr 1995 genehmigten Wege- und Gewässerplanes, der zwischen 1997 und 2014 insgesamt vier Mal abgeändert wurde.

Rund 450 Grundstückseigentümer waren an dem Verfahren beteiligt, in dessen Verlauf 1164 Flurstücke neu geordnet wurden. Dazu mussten bis zum Jahr 2002 die Grundstückswerte aufwendig neu ermittelt werden. Es wurden rund 770 neue Flurstücke ausgewiesen und ihren neuen Eigentümern im Jahr 2023 endgültig zugewiesen. Ende vergangenen Jahres wurde mit den Grundbucheinträgen das Verfahren abgeschlossen. Auf ihren neu zugeteilten Parzellen dürfen die Winzer schon seit 2011 wirtschaften.

Das Verfahren hat mehr als vier Millionen Euro gekostet. Die Stadt Lorch und die Teilnehmergemeinschaft der Grundstückseigentümer, angeführt von Laquai, übernahmen 660.000 Euro. Den Löwenanteil inklusive der Personalkosten finanzierten die Europäische Union, der Bund und das Land Hessen.

Hat es sich gelohnt? Die Winzer sind zufrieden, auch wenn in Lorch selbst jetzt nur noch ein halbes Dutzend aktiv sind. Vor 40 Jahren waren es rund 30. Noch dabei ist Richard Weiler, der das Ergebnis lobt. Aus acht kleinteiligen Parzellen wurde für ihn eine einzige von 5000 Quadratmeter Größe, die sich gut maschinell bewirtschaften lässt. Auch sein Kollege Jochen Neher hebt die das Ergebnis als Gewinn für die Winzerschaft hervor. Die Lorcher Lagen genießen auch bei den übrigen Winzern im Rheingau hohe Wertschätzung. Winzerinnen wie Theresa Breuer aus Rüdesheim und Verena Schöttle aus Johannisberg bewirtschaften schon seit vielen Jahren auch Lorcher Weinberge. Hessen Landwirtschaftsminister Ingmar Jung (CDU) lobte bei einer Feierstunde in den Weinbergen das Engagement von Laquai und Neher. Mit „formal nur 34 Jahren“ sei das Flurbereinigungsverfahren sogar „relativ kurz“ gewesen.

Weinbaupräsident Peter Seyffardt würde sich dennoch mehr Tempo wünschen, denn noch an mehreren Ecken im Rheingau laufen seit Jahrzehnten die Flurbereinigungsverfahren. Sie seien jedoch alternativlos, wenn es um den Erhalt des Weinbaus vor allem in den Steillagen gehe. Flurbereinigungsverfahren seien heute eine Symbiose zwischen Weinbauförderung und Naturschutz. Seyffart lobte die Winzerbrüder Laquai zudem für ihre Pionierarbeit bei der Anlage von Querterrassen in Steillagen. Unverzichtbar sei zudem die Steillagenförderung des Landes, die inzwischen erhöht worden ist. Im vergangenen Jahr profitieren in beiden hessischen Anbaugebieten 134 Weingüter, die 313 Hektar Steillagen zur Förderung angemeldet hatten und 522.000 Euro erhielten. In diesem Jahr will Hessen eine Million Euro bereitstellen je nach Hangneigung zwischen 1500 Euro und 4600 Euro pro Hektar auszahlen. (aus der FAZ im Mai 2025)

Staatsweingüter in der Krise

Wenn die hessischen Staatsweingüter absehbar weder pleitegehen noch privatisiert werden müssen, dann bedarf es einer grundlegend neuen Strategie. Darüber gibt es nach Informationen der FAZ im neu besetzen Aufsichtsrat der als GmbH organisierten Staatsweingüter breite Zustimmung. Die Perspektiven einer Neuordnung des Staatsbetriebs sind gegeben, seit das zuletzt wieder defizitäre Unternehmen und die Klosterstiftung Eberbach unter einem Dach, dem des Landwirtschaftsministeriums, geführt werden. Minister Ingmar Jung (CDU), dessen Bruder das Erbacher Familienweingut Jakob Jung führt, kennt die „Baustellen“ des Landesweinguts. Und er scheint gewillt, einen radikalen Schnitt zu machen.

Offiziell…..

Tatsächlich hat es das Land Hessen als Eigentümerin versäumt, dem seit 25 Jahren amtierenden Geschäftsführer Dieter Greiner klare Vorgaben an die Hand zu geben, was die langfristig angelegte Strategie des landeseigenen Weinguts ist. Mit mehr als 200 Hektar Rebfläche zwischen Lorch und Hochheim sowie an der Bergstraße zählen die Staatsweingüter zu größten Erzeugern Deutschlands.

Ein klares Konzept allerdings ist nicht zu erkennen. Das Weingut versorgt über eine eigene Kellerei Supermärkte und Großhändler mit Billigwein, der teils aus Rheinhessen stammt und auch dort abgefüllt wird. Es will aber gleichzeitig mit seinen Lagenweinen und den Großen Gewächsen als starker Qualitätserzeuger im Kreis der Prädikatsweingüter VDP wahrgenommen werden. Einem klaren Image ist dieser staatliche Gemischtwarenladen für Wein nicht eben zuträglich.

Dabei hat das Weingut nicht nur Besitz in den meisten der bedeutendsten und besten Weinberge des Rheingaus, sondern seit dem Jahr 2008 überdies – und noch immer – einen der modernsten Weinkeller der Region nebst einer weltweit einzigartigen Schatzkammer. Dennoch wird das Weingut nicht  als Flaggschiff und Qualitätsprimus der Region wahrgenommen. Dabei bestreitet kein Weinkritiker, dass die Staatsweingüter das Potential hätten, zu den führenden Erzeugern zu zählen.  

In den gängigen Weinführern schneidet das Weingut aber meist nur im grauen Mittelfeld ab. Wer seinen Gästen einen Rheingauer Spitzenwein kredenzen und dafür Anerkennung ernten will, greift kaum zu einem Wein der Staatsweingüter, deren Gesamtsortiment nur schwer überschaubar ist. Das Renommee unter Kennern ist mäßig.

Hinzu kommt, dass die Stiftung Kloster Eberbach und das Staatsweingut, das offiziell als Weingut Kloster Eberbach firmiert, innerhalb der mittelalterlichen Mauern alles andere als wirklich gut zusammenarbeiten. Wegen unterschiedlicher Interessen gibt es Reibungsverluste, die inzwischen auch im Aufsichtsrat als hinderlich für eine gedeihliche Entwicklung wahrgenommen werden.  

Was kann und muss ein Staatsweingut leisten, und warum leistet sich ein Bundesland ein Staatsweingut? Trotz immer wieder vorgetragener  ordnungspolitischer Bedenken gab und gibt es dem Vernehmen nach im Aufsichtsrat keine Stimmen, die sich für eine Privatisierung des Landesweinguts stark machten. Zumal der beste Zeitpunkt angesichts der gegenwärtigen Krise des globalen Weinbaus um einige Jahre verpasst worden ist. Wenn Minister Jung eine Überzeugung mit seinen für das Weingut verantwortlichen Vorgängern teilt, dann die, dass das Land verpflichtet ist, das Erbe der Zisterzienser, Nassauer und Preußen fortzuführen und nicht abzuwickeln.

Wie aber soll die Rettung gelingen? Bis Mitte Juni soll mit Hilfe externer Berater ein schlüssiges Konzept erarbeitet werden, das in einem überschaubaren Zeitraum verwirklicht werden soll. Vor allem zu zwei wichtigen Punkten scheint es im Vorfeld eine Einigung zu geben: Die Rebfläche soll deutlich kleiner und damit die Produktionsmenge spürbar  verringert werden. Wie das gelingen soll, ist offen. Es könnte bei einem drastischen Schnitt dazu führen, dass ganze Weinbaustandorte der Staatsweingüter wie die Bergstraße oder Hochheim in Frage gestellt werden. Zudem sollen die 1998 gegründete Stiftung und das Weingut wieder unter einer Führung vereint werden. Ein überfälliger Schritt, den schon der langjährige Geschäftsführer der Klosterstiftung, Martin Blach, befürwortet hatte.

Mit Spannung wird erwartet, ob Weinguts-Geschäftsführer Dieter Greiner den neuen Weg mitgehen wird oder mitgehen darf. Der seinerzeit erst 30 Jahre alte Agrarwissenschaftler war im Mai 2000 als Nachfolger von Karl-Heinz Zerbe an der Spitze der Staatsweingüter vorgestellt worden. Unter Greiner wurde der Landesbetrieb 2003 in einen GmbH umgewandelt. Der Standort Eltville wurde aufgegeben, der Weingutssitz ins Kloster verlegt und 2008 die vom Land gegen viele Widerstände durchgesetzte Steinbergkellerei eröffnet. Nicht alle Entscheidungen Greiners blieben unumstritten. Als er – kaum im Amt – die Bereitschaft erklärte, die Lage Hattenheimer Mannberg für eine Bebauung preiszugeben, wurde er vom Ministerium gestoppt. Im Alleingang schrumpfte er den markanten Adler auf dem Etikett auf Taubengröße, um ihn im Jahr 2009 ganz von der Vorderseite der Flaschen zu verbannen. Eine Zäsur nach 143 Jahren. Nun steht die nächste bevor.   

(aus meinem Bericht in der FAZ)  

Wenn Fäulnis zum Segen wird

250 Jahre Spätlese Weil auf Schloss Johannisberg die Genehmigung zur Weinernte vor 250 Jahren nicht rechtzeitig eintraf, breitete sich ein Schimmelpilz aus. Das Ergebnis änderte die Weinwelt

Die strapazierten Nerven von Johann Michael Engert lassen allenfalls erahnen, denn überliefert ist seine Reaktion auf eine sich vermeintlich anbahnende Missernte nicht. Als der Verwalter, der sogenannten Kellner, von Schloss Johannisberg im Herbst 1775 den Traubenboten nach Fulda entsandte, um vom Fürstbischof die Genehmigung zur Weinlese zu erbitten, rechnete er zweifellos – wie in den Vorjahren – mit einer schnellen Antwort. Doch die ließ auf sich warten.

Während die bäuerlichen Winzer rund um dem Johannisberg nach einem warmen und feuchten Spätsommer die Lese der Trauben zügig vorantrieben, um die Ernte traditionsgemäß vor dem Gallustag am 16. Oktober im Keller zu haben, breitete sich in den fürstbischöflichen Weingärten ein Schimmelpilz aus und färbte die Beeren grau. Erst als der Traubenbote mit zweiwöchiger Verspätung doch noch im Rheingau eintraf, rückte die Lesemannschaft aus Vermutlich ohne große Erwartungen in die Güte des Weins.

Doch am 26. Februar 1776 schreibt Engert nach den ersten Verkostungen im Weinkeller über den Jahrgang: „Der neue Wein ist meistens noch trüb, und haltet immer noch mit einer gewissen Süßigkeit an; man behauptet und hofft, an selbigem etwas außerordentliches der güte halber“. Das klang schon hoffnungsvoll. Am 10. April des Jahres notiert er, dass frühere Jahrgänge im Preis fallen, weil die 1775er vom Johannisberg so gut sind. Zum Tropfen aus dem herrschaftlichen Keller bemerkt er: „solche Weine habe ich noch nicht in Mund gebracht.“ Ein Superlativ.

Der übrige Rheingau urteilt verhaltener über den Jahrgang: In der Rheingauer „Wein- und Geschichtschronik heißt es, zum 1775er: „viel und gut. Dieser Wein hatte anfänglich einen guten Preis, je älter er wurde, um so mehr fiel er im Preis. Viele Kaufleute, besonders die Holländer, wollten seinen Namen nicht mehr hören. Der starke Hagelschlag, den wir Ende August hatten, und die nachfolgenden guten Jahren von 1770 an waren die Ursachen des Abschlagens“.

Dem Schlossweingut kam wohl zugute, dass es frühzeitiger und umfassender auf die Rebsorte Riesling gesetzt hatte als die umliegend wirtschaftenden Winzer. Das ist ein Ergebnis der „fuldischen Ära“ auf dem Johannisberg, die von 1716 bis 1803 währen sollte.

Im Jahr 1716 war der Fuldaer Fürstabt Konstantin von Buttlar mit dem Mainzer Erzbischof Lothar Franz von Schönborn einig über den Kauf des ehedem ältesten Rheingauer Klosters einig geworden. Buttler ließ baufällige Klostergebäude abreißen und leitete den Bau der Schlossanlage ein. Er erweiterte nicht die Rebfläche, sondern ließ auf dem Quarzitboden rund 300.000 Reben pflanzen, vornehmlich Riesling. Ein außergewöhnlicher Schritt für die damalige Zeit, und Schloss Johannisberg nennt sich deshalb „Das erste Riesling-Weingut der Welt“.

Der heutige Chef auf Schloss Johannisberg, Stefan Doctor, geht davon aus, dass der vermehrte Riesling-Anbau eine Reaktion auf ein sich damals abkühlendes Klima war. Dem Riesling sei am 50. Breitengrad und damit der ehemals nördlichen Grenze für den Anbau von Qualitätswein eine höhere Widerstandsfähigkeit zugetraut worden. Butlar sei „ein risikofreudiger Unternehmer“ gewesen.

Die Rolle der Traubenboten ist historisch belegt. Nicht nur im Rheingau. Aber nur wenige dieser Boten sind namentlich bekannt. Auf dem Johannisberg hat der frühere Domänenrat Josef Staab versucht, die Wissenslücken um diese Tradition zu schließen. Herausgefunden hat er unter anderem, dass im Archiv für das Jahr 1718 Rechnungen über einen „Botenlohn“ ausdrücklich vermerkt sind. Allerdings sind viele Unterlagen der damaligen Zeit verlorengegangen. Als gesichert gilt, dass noch im Jahr 1803 Johannisberger Trauen nach Fulda gebracht wurden, um die Leseerlaubnis zu erhalten.

Aus dem Jahr 1775 ist aber weder die Identität des säumigen Boten noch der Grund für sein Fernbleiben überliefert. „Wir wissen es nicht, sagte der Weinhistoriker Oliver Mathias kürzlich bei einer Tagung der Gesellschaft zur Geschichte des Weins an der Hochschule Geisenheim. Das bietet Raum für fantasievolle Geschichten und Legenden. Der Rheingauer Künstler Michael Apitz und Patrick Kunkel haben dies 1988 in einem ersten Comic über „Karl, den Spätlesereiter“ aufgegriffen. Anlässlich des Jubiläums „250 Jahre Spätlese“ ist eine Neuauflage erschienen, in der auch die Wissenslücken über den Ritt des Traubenboten aktualisiert wurden.

Dem unbekannten Traubenboten hat das Schloss schon 1960 ein Denkmal gesetzt, das ein beliebtes Fotomotiv bei den Besuchern auf dem Johannisberg ist. Am Ortseingang – von Winkel kommend – grüßt seit 25 Jahren eine Spätlesereiter-Silhouette alle Johannisberg-Besucher. Und im Fuldaer Schlosshof steht eine schön gestaltete Bronzeskulptur und dokumentiert die Verbindung zwischen Fulda und dem Johannisberg.

„Entdeckt“ wurde die Spätlese gleichwohl nicht in jenem Jahr. Denn dass  eine späte Weinlese bisweilen wohltuend auf die Weinqualität wirkt – wenn auch bei reduzierter  Erntemenge –, war schon viele Jahre bekannt. Rheingauer Heimathistoriker wie Leo Gros verweisen auf die Tradition der Süßweine in Tokaj und Sauternes. Auch am Steinberg im Rheingau soll es schon vor 1775 das Aha-Erlebnis einer außerordentlichen Weingüte nach Botrytis-Befall der Trauben gegeben haben.

Doch wurde aus Einzelfällen bis 1775 keine Regel, die fortan den Weinbau bestimmte. Auf dem Johannisberg sollte die späte Lese fortan zur Routine werden, und sie sollte nur wenige Jahre später Aufnahme in die amtlichen Reformvorschläge und Empfehlungen für den Rheingauer Weinbau finden, um die Qualität auf breiter Basis zu heben. Historiker Mathias spricht deshalb von einem „Meilenstein der Weingeschichte“.

Die Weinbauern blieben gleichwohl vorsichtig und misstrauisch. Ihnen war das Risiko zu hoch, womöglich die Ernte zu verlieren, wenn die Lese zu spät beginnt.

Goethe schreibt dazu im September 1814 bei einem Besuch in Bingen, „die Güte des Weins hängt von der Lage ab, aber auch der spätern Lese. Hierüber liegen die Armen und Reichen beständig im Streite; jene wollen viel, diese guten Wein.“ Ein Zwiespalt, dem die Winzer bis heute nicht entrinnen können. Das Pokern im Herbst um den Beginn der Ernte ist unverändert eine Nervenprobe. Vor allem dann, wenn hohe Qualität das Ziel ist.

Wie der legendäre 1775er aus heutiger Sicht tatsächlich geschmeckt hat, ist nur zu vermuten. Unbestritten ist, dass seinerzeit sein besonderer Geschmack dem Schimmelpilz Botrytis cinerea zu verdanken war. Wenn dieser sich bei feuchtwarmem Herbstwetter und Temperaturen von 15 bis 25 Grad auf vollreifen Trauben ausbreitet, dann perforiert er die Beerenhaut mit der Folge der Verdunstung von Wasser. Das hat eine Konzentration von Zucker und weiteren Geschmacks- und Aromastoffen in den Beeren zur Konsequenz. Weil der Wein dadurch „besser“ wird, sprechen die Winzer von Edelfäule. Sie machen sich dies bis heute zur Erzeugung von edelsüßen Weine bis hin zur Trockenbeerenauslese zunutze.

Ähnlich wie der auf Schloss Vollrads etablierte Cabinet-Wein wurde auch die Spätlese durch das Weingesetz von 1971 entwertet. Nicht die Lage, sondern der Zuckergehalt bestimmten fortan die Güte des Weins. Schloss Johannisberg hatte indes mit seinen Lackfarben eine traditionsreiche Qualitätseinstufung. Hinzu kam nach 1830, dass jeder Verwalter mit seiner Unterschrift auf jeder Flasche für die Qualität des Weines bürgte.

Weil Schloss Johannisberg den Prädikatsweingüter angehört und sich deren Regeln unterwirft, gibt es keine „trockene“ Spätlese mehr, wohl aber eine süße als „Grünlack“. Dieser Wein ist auch wegen der Tradition „nach wie vor der wichtigste im Portfolio“, sagt Stephan Doctor. Er sieht seit einigen Jahren die Phase der Stagnation bei der Nachfrage nach diesen – alkoholärmeren – Weinen wieder wachsen und eine „Renaissance“ bevorstehen. Gerade als Begleiter zur Speisen aus der asiatischen und der modernen Fusion-Küche seien solche ausdrucksstarke Weine gefragt, sagt Doctor, der die Spätlese nicht für einen Dessertwein hält. Für seine 2019er Spätlese hat das Schlossweingut von Weinkritiker Stuart Pigott 100 Punkte für den perfekten Wein erhalten. Mehr geht nicht.

Zum Jubiläum Doctor einen Ausnahmewein kreiert: Eine „Cuvée 100“ Spätlese „Ex Bibliotheca“, also aus der außergewöhnlichen Schatzkammer des Schlosses. Dazu wurden Weine aus den besten Jahrgängen des Schlosses zurück bis zum Jahrgang 1915 zu einer Cuvée zusammengeführt und abgefüllt. Doctor spricht von einer „Multi-Vintage“ Spätlese. Ein Wein der opulent und konzentriert im Glas daherkommt, aber eine außergewöhnliche Frische und Extravaganz zeigt. Das bestätigen Grünlack-Verkostungen ausgewählter Jahrgang bis zurück ins Jahr 1945.

Ganz ähnlich muss es Wilhelm Grimm vorgekommen sein, als er 1883 das Schloss besuchte, dort einen schönen Nachmittag verbrachte und von einem Wein schwärmte, der „der zwar mit Gold bezahlt werden muss, gegen den aber auch aller andere Wein nur eine Art gutartiger Essig ist.“

(mein Bericht aus der FAZ)

Die FAZ-Lieblinge – bist Du dabei?

Liebe Weinfreunde,

wer mich in Aktion sehen will, der besuche die Veranstaltung „2-Sternekoch Jochim Busch & FAZ „Unsere Weinlieblinge des Jahres 2024“ Begleitet wird das Menü von Jochim Busch von Weinen, die in der Weihnachtsausgabe 2024 der FAS-Sonntagszeitung als „Unsere Lieblinge des Jahres“ vorgestellt werden. 😀👏 Und das gibt es zu trinken:

Winzer & Rotwein des Jahres:

Weingut Fürst, Franken 2022 Spätburgunder Tradition

Weißwein des Jahres:

Weingut Dr. Loosen, Mosel 2018 Wehlener Sonnenuhr „Im Laychen“ Riesling GG RESERVE Alte Reben

Sekt des Jahres: Griesel & Compagnie, Hessische Bergstraße 2019 Pinot Blanc Auerbacher Höllberg

Granite parcellaire

Der Besondere: Zehnthof Luckert, Franken 2019 Sulzfelder Maustal Silvaner Großes Gewächs

Newcomer des Jahres: „Winzerhof Stahl“, Franken Sauvignon blanc Felswand aus der Magnum 2023***

Aufsteiger des Jahres: Weingut Lenhardt, Mosel 2023 Mehringer Zellerberg Riesling Auslese***

Moderation: Oliver Bock, FAZ-Korrespondent

Datum: Sonntag, 02.03.2025 um 12:00 Uhr

Preis: 210,00 € Pauschalpreis

Reservierungen: info@kronenschloesschen.de

Rettet die Steillagen !

Steillagen sind für die Winzer Fluch und Segen zugleich. Sie erfordern gegenüber den flachen Weingärten einen hohen Aufwand bei der Bewirtschaftung und verteuern somit die Produktion erheblich, ohne dass der Kunde die Bereitschaft erkennen lässt, für Weine aus Steillagen mehr Geld auf den Vinothekentisch zu legen. Gleichwohl sind es oft die besten Weine, die in den Berglagen erzeugt werden. Steillagen sind zudem nach Einschätzung der Unesco in engen Flusstälern oft die einzig mögliche landwirtschaftliche Nutzungsform. Sie bilden wertvolle Lebensräume für Fauna und Flora und haben nicht zuletzt einen großen Einfluss auf das Landschaftsbild und damit den Weintourismus.

Darauf hat Matthias Dempfle vom Deutschen Weininstitut anlässlich der am Freitag zu Ende gegangenen, 68. Rheingauer Weinbauwoche hingewiesen. Laut Dempfle fallen rund 15.000 Hektar und damit etwa 14 Prozent der deutschen Rebfläche von 103.000 Hektar unter die Definition einer Steillage, also einer Hangneigung von mehr als 30 Prozent. Steillagen prägen vor allem die Mosel, aber auch im Rheingau zählen nach der Aufstellung des Eltviller Weinbauamtes knapp elf Prozent (350 Hektar) der rund 3200 Hektar Rebfläche dazu. An der Bergstraße ist dieser Anteil mit 13,3 Prozent von 450 Hektar Rebfläche sogar noch etwas höher als zwischen Hochheim und Lorch.

Für Dempfle sind diese Flächen ein wissenschaftlich nachgewiesener „Hotspot der Artenvielfalt“. Das gelte sowohl für biologisch als auch für konventionell bewirtschaftete Weinberge. „Steillagenweinbau schafft Vielfalt“, sagte Dempfle und sieht in ihnen auch einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor. Denn die jährlich mehr als sieben Millionen Euro  Weintouristen in Deutschland suchten vor allem ein anmutiges Landschaftsbild.

Umso bedeutender sind die Forderungen des Weinbauverbands nach einer Förderung der Bewirtschaftung dieser Lagen. In Hessen profitierten nach Angaben des CDU-Landtagsabgeordneten Ingo Schon (CDU) im vergangenen Jahr 134 Weinbaubetriebe von der Steillagenförderung des Landes, davon 96 im Rheingau und 38 an der Bergstraße. Gefördert wurde nach seiner Aufstellung die Pflege von rund 313 Hektar Rebfläche, wobei der Rheingau mit fast 273 Hektar den größten Anteil stellt. Die ausgezahlten Fördermittel beliefen sich auf mehr als 522.000 Euro, davon flossen 461.000 Euro an Betriebe im Rheingau. Die Steillagen seien „nicht nur landschaftlich traumhaft, sondern tragen auch zur Artenvielfalt bei“, meint Schon. Für dieses Jahr kündigt er eine Aufstockung des Förderbudgets auf rund eine Million Euro im Landeshaushalt an, für die  Bergstraße auf 137.000 Euro. Das sei eine Anerkennung der Arbeit der Winzer und eine Investition in die Schönheit der Region. In diesem Jahr gelten zudem neue Fördersätze, die je nach Hangneigung zwischen 1.500 Euro und 4.600 Euro pro Hektar betragen können. Dies soll den besonderen Herausforderungen der Arbeit in extremen Steillagen gerecht werden.

Der Deutsche Weinbauverband hat die Steillagenförderung in seine „zwölf Forderungen der Deutschen Weinbranche für die kommende Legislaturperiode“ des Bundestags aufgenommen. Die Interessenvertretung der deutschen Winzer sorgt sich um die Zukunft „der die Kulturlandschaft prägenden, aber wirtschaftlich immer schwieriger zu bewirtschaftenden Steillage“. Sie sei für zahlreiche Anbaugebiete „elementar“. Angesichts des Strukturwandels sei jedoch mit einem Verlust und dem „Umzug“ der Weinberge aus der Steillage in die Flachlage zu rechnen. Auch das Aufstellung von Solarmodulen auf solchen Flächen bedeute einen Verlust der Kulturlandschaft. Brachliegende und verbuschende Flächen erhöhten das Schädlingsrisiko in den umliegenden Weinbergen. Der Verband fordert eine dauerhafte Förderung der Steillage und ein Budget, das „attraktiver ist als die Rodung und der Ausstieg aus dem Berufsstand.“ Ein Baustein zum Erhalt der Steillagen sei die Zulassung von Drohnen mit Rotationszerstäuber, um die Bewirtschaftungskosten in Grenzen zu halten. In einem Positionspapier zum Drohneneinsatz fordert der Verband zudem die finanzielle Förderung einer europäischen Agrardrohnenproduktion, um unabhängiger von internationalen Anbietern zu werden. Zudem erhebt er die Forderung nach einem „eigenen, praxistauglichen und unbürokratischen Rechtsrahmen im Luftfahrt- und Pflanzenschutzrecht für den Einsatz von Sprühdrohnen im Steillagenweinbau.“ (aus meinem Bericht in der FAZ vom 18. Januar 2025)

Wo sind die Weinpatrioten?

Die zumindest temporäre Stilllegung von Rebflächen, die Zahlung von Rodungsprämien an Winzer und ein Stopp bei der Vergabe neuer Pflanzrechte: Das sind drei Maßnahmen, die dazu beitragen könnten, die gegenwärtige Krise des Weinbaus zu lindern. Der Rheingauer Weinbaupräsident Peter Seyffart hat sie auf der traditionellen Winterfachtagung des Verbandes mit der Forderung nach einer Stärkung der „Marke Rheingau“ verbunden. Denn „wer ohne Marke ist, der endet im Preiskampf“. Dass die Lage schwierig ist, bestätigte Landwirtschaftsminister Ingmar Jung (CDU) in einer Videobotschaft, während er zeitgleich seinen Etat und damit auch die Fördermittel für den Weinbau in der Klausurtagung der CDU-Landtagsfraktion verteidigte. Der Preisdruck im Weinmarkt sei die Folge eines Ungleichgewichts zwischen Konsum und Produktion. Seyffardt sprach von einem globalen Überangebot an Wein mit der Folge eines ruinösen Preiswettbewerbs.

Zu spüren bekommen haben die Winzer dies im zurückliegenden Herbst, als die Fassweinpreis auf ein Niveau von 70 bis 80 Cent je Liter sanken und damit ein Niveau deutlich unterhalb der Produktionskosten erreichten. Seyffardt beklagte aber auch eine Zurückhaltung der Konsumenten. Die Gastronomie sei ein inzwischen schwächelnder Absatzkanal. Bei der Nachfrage gebe es zudem Polarisierung zwischen dem preisgünstigen Einstiegssegment und dem hochpreisigen Premium-Niveau zu Lasten des Mittelsegments.

Laut Seyffardt nahm die deutsche Rebfläche seit 1990 von 95.000 auf 103.000 Hektar zu, obwohl der Pro-Kopf-Verbrauch in den vergangenen fünf Jahren von 20,9 auf 19,3 Liter zurückging. Hinzu kommt, dass der Marktanteil der deutschen Erzeuger in Deutschland stetig zurückgeht. Allein in den drei Jahren seit 2021 ging der Anteil von 44,8 auf 41,1 Prozent zurück. Einer der Gewinner des Verdrängungswettbewerbs im global größten Weinimportmarkt war demnach Italien. Der Deutsche Weinbauverband hat laut Seyffardt inzwischen das Ziel ausgerufen, dass der deutsche Wein wieder einen Anteil am Inlandsmarkt von 50 Prozent erreicht, ab wie das gehen soll, ist dem Martinsthaler Winzer Seyffardt schleierhaft. Zumindest so lange, wie der preisbewusste Konsument am Weinregal im Supermarkt schon wegen einer Ersparnis von ein paar Cent eher zum ausländischen Erzeugnis greift. „Wir bekommen heute für den Wein weniger als 1995“, meint der Weinbaupräsident. Er würde sich deutlich mehr Weinpatriotismus unter den deutschen Konsumenten wünschen. Im Lebensmittelhandel gebe es für die hiesigen Erzeuger jedenfalls keine Unterstützung des Verbrauchers.

Seyffardt bescheinigt der ausländischen Konkurrenz eine in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesteigerte Qualität und ein innovatives Marketing. Dagegen habe der deutsche Wein „ein Imageproblem“. Unter den Jüngeren werde Wein zudem eher als traditionelles Getränk der Älteren wahrgenommen. Seyffardt beklagte zudem ein weit verbreitetes „Riesling-Bashing“, also eine herabsetzende, nicht gerechtfertigte Kritik an der Leitrebsorte des Rheingaus. Der Riesling sei aber nicht per se „sauer“. Er spiegele im Glas vielmehr wie keine andere Rebsorte ihre Herkunft, das Terroir, wider. Zudem sei der Riesling in der Lage, mit dem Klimawandel zurechtzukommen. Die Rebsorte, die im 19. Jahrhundert mit die teuersten Weine der Welt hervorgebracht habe, gehöre zu den Gewinnern des Klimawandels. Im Weinmarkt scheint diese Botschaft allerdings wenig Gehör zu finden. Den Winzer bereiten deshalb zunehmend nicht mehr bewirtschaftete Rebanlagen Sorgen, die zum Ausgangspunkt für die Ausbreitung von Schädlingen werden. Seyffardt forderte zudem eine Beschleunigung der Flurbereinigungsverfahren, die viel zu lange dauerten.

Die schwierigen Zeiten für die deutschen Winzer haben gerade erst begonnen, und eine schnelle Besserung ist nicht in Sicht. Das ist die Einschätzung von Simone Loose von der Hochschule Geisenheim, die betriebswirtschaftliche Daten zahlreicher deutscher Weingüter auswertet. Die rechnet mit einer „weiterhin ökonomischen Stagnation“ und einem fortlaufenden Strukturwandel in der Branche. Die Konsolidierung im Weinfach- und Weingroßhandel sei noch lange nicht abgeschlossen. Für den Rheingau identifizierte Loose aber zwei ermutigenden Tendenzen: Viele Rheingauer Weingüter seien im Export „exzeptionell gut etabliert“, und eine internationale Bewegung hin zum Konsum von Weiß- und Schaumwein bedeute eine Chance gerade auch für Deutschland und seine Weißweine. Ob von dieser Tendenz beim Export auch der Riesling und nicht nur die weißen Burgunderweine profitieren, will Loose bald näher untersuchen. Riesling sei international gesehen „keine einfache Rebsorte“, weil er sowohl trocken als auch halbtrocken oder süß in die Flasche gefüllt werde. Ein Risiko seien zudem neue Handelshemmnisse unter dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Zu den Herausforderungen im Wettbewerb zählt Loose unter anderem die hohen Produktionskosten des Rheingaus im Vergleich mit anderen Anbaugebieten. Die große  Chance liege allerdings im Weintourismus und in der Zugehörigkeit zur kaufkraftstarken Metropolregion Frankfurt/ Rhein-Main. (aus meinem Bericht in der FAZ von der Winterfachtagung vom 15. Januar 2025)

Weinbau in der Krise

Made in Germany hat noch immer einen guten Ruf. Beim Wein deutscher Provenienz allerdings liegen die glorreichen Zeiten schon mehr als 100 Jahre zurück. Die Folgen von zwei verlorenen Weltkriegen und einer verfehlten Weingesetzgebung wirken heute nach. Dass die ausländischen Winzer heute offenbar genau wissen, was die Deutschen trinken wollen, und diesen Rebensaft obendrein günstiger anbieten können als die hiesigen Erzeuger, ist ein Problem. Vor allem in Zeiten, in denen der Verdrängungswettbewerb durch eine globale Überproduktion bei rückläufigem Konsum angeheizt wird. Dass die deutschen Winzer im eigenen Land stetig Marktanteile verlieren, ist Zeichen einer dramatischen Entwicklung. Würde der Export nicht ein Ventil eröffnen, die Lage wäre noch verheerender. Dabei sollte der Trend zu leichteren Weißweinen den deutschen Winzern in die Hände spielen. Doch Pinot Grigio und Prosecco stehen bei vielen Konsumenten höher in der Gunst ein trockener Riesling Kabinett oder ein halbtrockener Weißherbst. Zu traditionell, zu altbacken das Image.

Vor allem beim Marketing hinken die deutschen Erzeuger hinterher. Die Winzer, das ist in erster Linie eine wenig homogene Berufsgruppe aus Individualisten mit höchst unterschiedlichen Interessen. Das führt bisweilen zu einem Richtungsstreit, der die Schlagkraft schwächt. Dem Rheingau wäre schon geholfen, wenn die Weintrinker unter den 2,5 Millionen Einwohnern im Ballungsraum Frankfurt/ Rhein-Main zu Produkten aus der Region greifen würden. Doch das ist nicht der Fall. Weinpatriotismus kann nicht verordnet werden. Er bedarf mühsamer Überzeugungsarbeit, bei der sich die Winzer allerdings häufig selbst im Wege stehen. Es fehlt an Einigkeit, und es fehlt an überzeugenden Konzepten. Zudem versteht die ausländische Konkurrenz die Weinbedürfnisse der Deutschen offenbar sehr gut. Daran muss die Branche arbeiten, anstatt sich allzu oft selbst auf die Schulter zu klopfen.  (aus meinem FAZ-Kommentar vom 15. Januar 2025)