Wenn Weinreben unter Solarmodulen wachsen: Eine doppelte Landnutzung hat ihren Charme und verspricht handfeste Vorteile für die Winzer. Doch es gibt einige Hürden und auch Risiken. Und wohin mit der gewonnenen Solarenergie?
Vor dem gefürchteten Sonnenbrand sind die Rebstöcke auf dem Geisenheimer Versuchsfeld am Eibinger Weg gefeit. Die Solarmodule über den Rebstöcken spenden viel Schatten, und sie würden wohl sogar die Hagelkörner abhalten, wenn ein Unwetter aufziehen würde.
Die 1500 Quadratmeter große Parzelle unweit des Geisenheimer Instituts für Rebenzüchtung bietet einen ungewohnten Anblick. Ein Weinberg mit Flachdach, den die Wissenschaftler der Hochschule Geisenheim als Reallabor bezeichnen. Hier wird im Freiland getestet, ob Photovoltaikanlagen über landwirtschaftlichen Flächen (Agri-PV) auch für den deutschen Weinbau eine Option sind. Es geht um eine effiziente doppelte Landnutzung: am Boden Rebstöcke zur Weinerzeugung pflegen, darüber Solarmodule zur umweltfreundlichen Stromgewinnung aufstellen.
Neu ist die Idee nicht. Am Freiburger Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE, dem größten Solarforschungsinstitut Europas, beschäftigen sich einige der 1400 Mitarbeiter sehr intensiv mit Agri-PV. Darunter Max Trommsdorff, der darauf verweist, dass es seit 2010 einen regelrechten Aufschwung in diesem Sektor gibt, vor allem in Asien. Aktuell sind demnach Agri-PV-Anlagen mit einer globalen Leistung von 14 Gigawatt (Peak) installiert, was einer Solarmodulfläche von immerhin 28 Quadratkilometern entspricht.
Andere Länder sind demnach deutlich weiter als Deutschland. In Japan gibt es seit 2013 ein staatliches Förderprogramm, in Frankreich immerhin seit 2017, und in China werden seit fast zehn Jahren vor allem große Anlagen mit mehr als 15 Hektar Fläche vom Staat gefördert. In Deutschland gibt der Gesetzgeber vor, dass die Kulturpflanzen im Schatten unter den Modulen mindestens 66 Prozent ihres üblichen Ertrags liefern müssen. Das ist zu schaffen. Nach einer Übersicht von Trommsdorff sind in Deutschland etwa 30 Anlagen mit einer Leistung von 400 Megawatt installiert.
Größte Hürde: der Schattenwurf der Module. Denn alle Kulturpflanzen streben nach Licht, um sich bestmöglich entwickeln zu können und viele Früchte von hoher Qualität zu tragen. Besonders geeignet ist laut Trommsdorff deshalb der Obst- und Beerenanbau, weil selbst bei einem Verschattungsgrad von 50 Prozent noch volle Erträge möglich seien. Inzwischen gibt es semitransparente Module, die zwar etwas weniger Strom liefern, aber mehr Licht durchlassen.
Trommsdorff kritisiert aufwendige Genehmigungsverfahren in Deutschland, auch wenn es inzwischen Erleichterungen für kleinere Anlagen gibt. Wie aufwendig solche Genehmigungsverfahren sind, das hat die Hochschule Geisenheim im Praxistest erfahren. Vor fünf Jahren gab es erste Überlegungen und Pläne, im Rheingau Agri-PV für den Weinbau zu testen, weil der Charme der doppelten Flächennutzung erkannt war.
Von einer Versuchsanlage waren aber einige Anwohner in der Nähe des Weinbergs nicht begeistert, sodass die konfliktscheue Hochschule einen anderen Standort suchte und in der Nähe des Instituts für Rebenzüchtung fündig wurde. Der gilt im Nachhinein sogar als die bessere Option. Insgesamt waren 38 Behörden zu beteiligen, ehe der Weg endlich frei für die Module war.
Die Folge der langen Planungs- und Genehmigungsphase war ein Baubeginn erst im November 2022, und im Oktober 2023 wurde der erste Strom erzeugt. Die 552 Module liefern eine maximale Leistung von 94 Kilowatt. Es wäre auch mehr möglich gewesen, doch bei mehr als 100 Kilowatt hätte die Hochschule aus eigenen Mitteln 70.000 Euro in eine Trafostation investieren müssen. Die Module sammeln 3,5 Meter über dem Boden die Solarenergie ein. Darunter – und auf einer ebenso großen Kontrollfläche daneben – wurde Riesling gepflanzt. Je zur Hälfte werden die beiden Flächen ökologisch und integriert bewirtschaftet, um mittelfristig auch dazu Erkenntnisse zu gewinnen.
Die ersten Ergebnisse stellte Lucia Garstka kürzlich auf einer Arbeitstagung der Hochschule vor. Demnach sorgen die semitransparenten Module für eine noch immer ordentliche Lichtverfügbarkeit. Eine Besonderheit des Baus sind die betonfreien Fundamente. Die Module lassen sich in ihrer Aufhängung zudem kippen, sodass sie dem wechselnden Sonnenstand folgen können, um eine bestmögliche Energieausbeute zu erreichen.
Festhalten lässt sich laut Garstka, dass die Temperatur in der beschatteten Traubenzone ein bis vier Grad niedriger ist als in der offenen Kontrollfläche. Nachts hingegen liegen die Temperaturen erwartungsgemäß um ein bis zwei Grad höher. Nicht nur die Luftfeuchtigkeit ist unter dem Solarmoduldach etwas höher als im Freien, sondern auch die Bodenfeuchte, was günstig für die Pflanzen ist, wenn das Wasser nicht zu schnell aus den bodennahen Schichten verdunstet. Dafür bekommen die Rebstöcke unter den Modulen allerdings weniger als die Hälfe der Sonneneinstrahlung ab.
Garstka notierte zudem leichte Verzögerungen im Wachstum bei fortschreitender Vegetationszeit. Die Rebblüte erfolgte verzögert und am Rebstock auch heterogen. Auch eine geringe Reifeverzögerung wurde erfasst. Vorliegende Studien, wonach unter Solarmodulen im Herbst Weine mit höherer Säure und geringerem Mostgewicht geerntet werden, konnten im ersten Weinjahr noch nicht bestätigt werden. Auch in Geisenheim war die Säure höher, das Mostgewicht aber gleich. Für bemerkenswert hält Garstka, dass unter dem Solardach nachträglich gepflanzte Jungreben mit längeren Trieben auf den Schatten reagierten.
Erfreulich für den Winzer könnte sein, dass die Frostanfälligkeit wegen der etwas höheren Nachttemperaturen unter den Modulen geringer sein könnte. „Ein bis zwei Grad können einen großen Unterschied ausmachen“, so Garstka mit Blick auf die Frostnacht am 22. April, die in allen deutschen Anbaugebieten teils erhebliche Schäden hinterlassen hat. Sonnenbrandschäden habe es unter Modulen im Gegensatz zur Kontrollfläche nicht gegeben.
Die Hochschule sieht es als ihre Mission, bestehende Systeme weiterzuentwickeln. Das Ergebnis ist nur wenige Meter entfernt zu studieren: ein erstes mobiles Agri-PV-System namens „VitoCULT-PVmobil“, das binnen eines Tages montiert oder abgebaut werden kann und für das deshalb ein Patentantrag eingereicht worden ist. Laut Thomas Keck vom beteiligten Ingenieurbüro SPB Sonne war es das Ziel, eine einfache, mobile, erweiterbare und flexible Anlage zu bauen, die vor allem für Jungfelder geeignet ist.
Dazu werden faltbare Solarmodule verwendet, die wie ein Rollladen in Kästen gelagert und bei Bedarf mit Seilzügen ausgerollt werden. Ihre Vorteile: Die Verschattung liegt nur bei 30 Prozent, und eine Baugenehmigung wird absehbar nicht erforderlich sein. Die Nachteile: Wegen der Leichtbauweise müssen die Module bei starkem Wind eingefahren werden, und die Leistung der 15 Meter langen und sechs Meter breiten Anlage ist mit 4,5 Kilowatt (Peak) recht gering.
Seit Juni ist sie als ein bis Ende 2025 öffentlich gefördertes Pilotvorhaben in Betrieb, um Erfahrungen zu sammeln.
Ergänzt wurde sie um einen Batteriespeicher mit 40 Kilowattstunden Kapazität, denn die Frage stellt sich bei jeder Agri-PV-Anlage: Wohin mit dem Strom? Das jeweilige Weingut oder der nächstgelegene Einspeisepunkt wären bei vielen Weinbergen weit entfernt und würden hohe Kosten in neue Netzanschlüsse bedeuten.
Allerdings könnte der Strom unter anderem genutzt werden, um Drohnen, elektrische Arbeitsgeräte oder E-Fahrzeuge zu laden oder ihn in mobilen Batterien zu speichern. Versuchsweise wurde in Geisenheim in der Rebanlage neben dem Bewässerungsschlauch zudem ein Heizdraht verbaut, der die mit dem Klimawandel für den Weinbau einhergehenden, gefährlichen Spätfröste im Frühjahr entschärfen könnte.
Die mobile und mit allerlei Messtechnik ausgerüstete Anlage über einem Jungfeld mit neuen, pilzwiderstandsfähigen Rebsorten hat zudem den Vorteil, dass die Module vor staubigen Erdarbeiten eingefahren werden können, weil die Verschmutzung der Module über Feldern absehbar und die Reinigung drei Meter über dem Boden immer aufwendig ist. Zum Sammeln der Erfahrungen gehört auch die Meinung der Winzer, der Anwohner und Besucher zu Solarmodulen über Weinbergen. Solarforscher Trommsdorff hat dazu seine ganz eigene Ansicht: „Akzeptanz ist die knappste Ressource der Energiewende.“ (Basis: mein FAZ-Bericht vom 2.8.2024)