Weintrinker leben doch länger

Die Deutsche Weinakademie fährt wissenschaftliche Expertisen auf, um fragwürdige Daten zum Alkoholkonsum auf den Prüfstand zu stellen. Studien belegen positive Wirkungen für ältere Weintrinker

Die gut gemeinten Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für einen gesunden Lebensstil erfahren in breiten Bevölkerungsschichten meist so wenig Widerhall und Aufmerksamkeit wie die mahnenden Botschaften der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Wenn sich aber ein Fernsehdoktor und Entertainer wie Eckart von Hirschhausen vor Millionen Fernsehzuschauern als Lautsprecher der Botschaft zu Verfügung stellt, jeder einzige Tropfen Alkohol sei gesundheitsschädlich, dann sind Schlagzeilen garantiert.

Die deutschen Winzer trifft die öffentliche Kampagne gegen Promille im Blut in einer Phase, in der globale Überproduktion auf rückläufigen Konsum trifft und Weinberge stillgelegt oder gerodet werden müssen. Die Deutsche Weinakademie kanalisiert nicht erst seit der Hirschhausen-Sendung die wissenschaftlichen Zweifel an den Datenerhebungen und Schlussfolgerungen von WHO und DGE, auf die sich Hirschhausen bezieht.

Ein Kritikpunkt lautet: Daten und Empfehlungen aus Kanada seien eins zu eins auf deutsche Verhältnisse übertragen worden. Dabei, so der Ernährungswissenschaftler Nicolai Worm, habe selbst die kanadische Regierung die Erkenntnisse des kanadischen Instituts für Suchtforschung wegen methodischer Mängel nicht übernommen, sondern ähnliche Empfehlungen wie die nationale Medizin-Akademie der Vereinigten Staaten veröffentlicht: Demnach geht ein moderater Konsum von Alkohol (14 Gramm täglich für Frauen, 28 Gramm täglich für Männer) bei Männern mit einer Risikosenkung der Herz-Kreislauf-Sterblichkeit um 18 Prozent und der Gesamtsterblichkeit um 16 Prozent einher. Bei 40 Jahre und älteren Menschen entfalte sogar ein noch höherer Alkoholkonsum positive Wirkungen.

Studien zeigten, dass es bei moderatem Konsum „keinerlei Anzeichen für ein erhöhtes Risiko für Krebs, Demenz und Herzerkrankungen“ gebe und die Gesamtsterblichkeit nicht höher sei. Eine Studie aus Großbritannien („UK-Biobank“) mit 350.000 Probanden habe belegt, dass „für Weintrinker sogar mit übermoderaten Tagesdosen kein signifikantes Krebsrisiko erkennbar“ sei.

Worm kommt zu dem Fazit: „Leichter bis moderater Weinkonsum zu den Mahlzeiten, vorzugsweise im Rahmen einer mediterranen Ernährung und einer gesunden Lebensweise, reduziert nach bester verfügbarer Evidenz bei den meisten Menschen im mittleren und höheren Alter das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und die Gesamtsterblichkeit und erhöht nicht das Krebsrisiko. Es sollte für die meisten mit hoher Wahrscheinlichkeit als sicher angesehen werden.“

Das bestätigt der österreichische Kardiologe Dirk von Lewinski. Die Diskussion über Alkohol habe „teilweise das stabile wissenschaftliche Fundament verlassen“, lautet seine Kritik. Dazu zählt, dass die kanadischen Empfehlungen zum Alkoholkonsum auf einer Veröffentlichung der von der Gates-Stiftung finanzierten „Global Burden of Disease Study“ von 2018 beruhen, wonach es „keine risikoarme Alkoholdosis und keine gesundheitlichen Nutzen gebe“. Die gleichen Autoren kommen vier Jahre später aber zu ganz anderen Ergebnissen. Darauf wies in Geisenheim der Internist Kristian Rett hin. In der Zweitfassung der Studie von 2022 werde festgehalten, dass bei den über Vierzigjährigen ein moderater Alkoholkonsum mit einem Überlebensvorteil und einem geringen Herzinfarkt-, Schlaganfall- und Diabetesrisiko verbunden sei. Die WHO habe diese Kehrtwende der Autoren ignoriert. Rett verweist zudem auf eine spanische Studie, wonach die Teilnehmer mit einem niedrigem bis moderatem Weinkonsum gegenüber den lebenslang Abstinenten ein um 50 Prozent geringeres Risiko haben, in den nächsten neun Jahren einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden.

Auch nach Lewinskis Daten „erscheint der Nutzen mäßigen Alkoholkonsums für die kardiovaskuläre Gesundheit positiv“, vor allem bei 45 Jahre und älteren Weingenießern. Ähnlich wie Worm kritisiert Lewinski, dass WHO und DGE nicht nach der Art der alkoholischen Getränke differenzieren. Wein habe vermutlich wegen der pflanzlichen Inhaltsstoffe (Polyphenole) zusätzliche positive Effekte. „Wein ist mehr als Wasser und Alkohol“, sagt Worm. Die kanadischen Studien berücksichtigten zudem weder den individuellen Lebensstil noch bedeutende Faktoren wie Bewegungsmangel oder Übergewicht.

Die Weinakademie kritisiert den „offensichtlichen Einfluss“ der Anti-Alkohol-Lobby auf die WHO. Wer bis zu zwei Gläser am Tag trinke, senke sein Risiko für bestimmte Erkrankungen. Und natürlich habe Alkohol nichts in den Händen von Kindern, Schwangeren und Verkehrsteilnehmern zu suchen. Einen Interessenkonflikt verhehlt die Weinakademie nicht. Den hätten auch Autoren der WHO. „Das heißt aber nicht, dass wir Falsches kommunizieren.“ (aus der FAZ)