Neues aus dem Verkostungstagebuch

… wie gewohnt kurze Notizen über das, was zuletzt im Glas und bemerkenswert war…

Hessische Staatsweingüter Kloster Eberbach

2015 Höllenberg Spätburgunder Cabinet GG trocken – feine Noten von Cassis, wie sie für den Höllenberg so typisch sind – mehr Eleganz als Kraft, langer Nachhall, wirkt etwas reifer, als es der wunderbare Jahrgang vermuten lässt

J.B.Becker, Walluf

2022 Rotweiß Spätburgunder Rosé – ein Rosé mit rustikalem Etikett in dunkelgrüner Schlegelflasche, die den Blick auf den wunderbaren Farbton völlig verwehrt. Auch das ist ein Statement. Und der Wein? Auch  für einen Rosé-Skeptiker wie mich sehr gut mit feinen Aromen roter Beeren, aber nicht quietschig, nicht easy drinking auf dem Weinfest, sondern ernsthaft und fein. Das gilt auch für den parallel verkosteten 2023 Pinot Noir Rosé trocken vom Bischöflichen Weingut. Völlig andere Stilistik, aber mit Sicherheit einer der besten Roséweine, die im Rheingau zu finden sind. Erwartungsgemäß hervorragend übrigens Beckers 2013 Riesling Walkenberg Spätlese trocken

Peter Perabo, Rüdesheim

2023 Riesling trocken „Peter P“ – ja, der Betriebsleiter des Bischöflichen Weinguts macht jetzt auch seinen eigenen Wein (eine Vorbereitung auf den „Ruhestand“?), der sehr saftig und mineralisch zugleich daherkommt. Klare Kaufempfehlung!  

Jasper Franz, Lorch

2023 Riesling Alte Reben Schiefer – eine von nur 812 Flaschen, die Jasper Brysten gefüllt hat. Das besonders Schöne daran: Getrunken in der wiederbelebten Schänke Altenkirch in Lorch! Gutes Essen, gute Weine, schönes Ambiente, hingehen!

Weingut Schön, Aulhausen

Endlich nach langer Pause  mal wieder bei Klaus Schön in Aulhausen, dem Rotweingenie… Späbus im klassischen Stil auf der eher voluminösen Seite mit Kraft und Power, bsp. 2022 Roseneck Spätlese trocken und die ganz außerordentliche 2020 Berg Roseneck Auslese trocken… ein Bergwein der besonderen Art. Probieren !

Schloss Vollrads, Winkel

2016 Edition Rheingau Riesling – die jährlich von den Mitarbeitern „gewählte“ Edition, diesmal gereift, was dem Wein aber sehr gut getan hat und mit einmal mehr zeigte, dass 2016 wirklich ein sehr guter Jahrgang ist.

Hessische Staatsweingüter Kloster Eberbach

2022 Neroberg Riesling trocken Cresentia – der Neroberger ist in fast jedem Jahrgang eine Bank unter den Erste-Lage-Weine der Staatsweingüter. Schöne Mineralität, unterlegt mit filigraner Frucht, eher kühl wirkend, toller Trinkfluss… getrunken auf dem Neroberg direkt über den Reben, schmeckt nirgends besser!

Chat Sauvage, Johannisberg

Chardonnay brut Sekt, degorgiert am 11. März 2024, eine Wucht !

2022 Chardonnay trocken – das ist neben und mit Künstlers Chardonnay „Kalkstein“ (2023 schon verkostet) einfach der beste Chardonnay des Rheingaus. Punkt. Im „Pfaffenberg“ (Restaurant Chamame) ebenfalls verkostet und für sehr gut befunden: Künstlers 2022 Stielweg Alte Reben Riesling.

Weingut Johannishof, Johannisberg

2022 Hölle GG und 2022 Rottland im Vergleich. Eine Überraschung, denn üblicherweise bin ich als Fan des Rüdesheimer Berg in der Versuchung, den Rottland „blind“ vorzuziehen. Doch Pustekuchen: die Hölle ist in diesem Jahrgang ein Monument! Großartig.

40 Jahre Charta-Weine

Im intimen Kreis wurden während der Glorreichen Rheingau Tage auf Weingut Robert Weil 20 Charta Weine aus vier Jahrzehnten von fünf Erzeugern verkostet. Die Spanne reichte von zwei 1983 (Weil und Wegeler) aus dem allerersten Jahrgang bis zu 2016 (Spreitzer) und 2019 (Wegeler). Eine würdige Geburtstagsfeier zum 40. für den Charta mit der Erkenntnis: unverändert ein überzeugendes Konzept (wenn auch mit zu wenigen Erzeugern), besonders herausragend aus „mittelreifen“ Jahren wie 1994, 2001, 2004, 2008, 2014 u.a., sehr hohes Reifepotential und unverändert ein klasse Essensbegleiter“

Meine Favoriten der Probe: 1983 Weil, 1992 Wegeler, 1994 Johannishof, 2001 Weil, 2008 Spreitzer, 2014 Jakob Jung

Wen die Geschichte der Charta-Bewegung interessiert: eine ausführliche Rückschau hatte ich für die F.A.Z. Ausgabe vom 9. November 2024 verfasst.

33. Riesling Gala

… und wieder ein Genuss für Geist, Gaumen und Seele im Kloster Eberbach. Kulinarisch und „logistisch“ eine Meisterleistung, mehr als 700 Gäste auf formidablem Niveau zu verköstigen. Eine Veranstaltung, die jeder Weinschmecker zumindest einmal im Leben erlebt haben MUSS. Was ich nicht erwartet hätte: Unter den 6 Gängen stach für mich der vegane „Gemüsetatar mit Limettencreme, Gartenkresse und Buchweizen hervor“, trotz – oder gerade wegen – der feinen Schärfe, die das eigentlich viel zu junge 2023 Pettenthal GG von Kühling-Gillot perfekt konterte. Solo war 2021 „O“ Reserve von St. Antony superb. Auch Philip Soldan überzeugte mit seinem konfierten Ikarimi Lachs. Sein Sternelokal im Frankenberg steht auf meiner „to visit“-Liste weit oben. Der Wels von Matthias Schmidt war hingegen gewöhnungsbedürftig, die Languste von Alexander Hohlwein sehr fein und die Kalbsbäckchen von Jochim Busch hervorragend. Ich freue mich schon jetzt, anlässlich des Rheingau Gourmet und Wein Festivals Anfang März wieder einen den FAZ-Lunch mit ihm zu moderieren. Sehen wir uns? Unter den Weinen fällt es schwer, einige herauszuheben. Weil 2017 Gräfenberg gehört sicher dazu, ebenso Weedenborns 2015 Kirchspiel und ganz sicher die 2018 Prälat GG Reserve von Dr. Loosen. Herausragend !  

Visionärer Impuls für deutschen Wein

Das deutsche Weinbezeichnungsrecht gilt als hochkomplex, und die Etiketten auf Weinflaschen lesen sich für die Verbraucher bisweilen höchst verwirrend. Doch es geht auch anders. Vor genau 40 Jahren schlug im Rheingau die Geburtsstunde eines Weins, der mit seinem kurzen Namen alle Fragen beantwortet: Charta. Dahinter steckt ein hochwertiger Riesling aus dem Rheingau, geschmacklich trocken ausgebaut, prädestiniert als Essensbegleiter, von einer internen Jury bei einer Blindverkostung auf seine Qualität hin sorgsam geprüft und erst nach knapp einem Jahr Reife in der Vermarktung gegeben. Ein Konzept, dass unter den Anhängern der Charta-Weine bis heute als überzeugend gilt, dem aber auf lange Sicht dennoch kein durchschlagender Erfolg beschieden war.
Denn es sind nur noch ein Dutzend Winzer, die Jahr für Jahr 13 Charta-Weine vorstellen. Im Jubiläumsjahr kamen nach gut zehn Jahren Unterbrechung noch die Hessischen Staatsweingüter hinzu. Das ist eine Rückbesinnung. Denn Hans Ambrosi, lange Jahre der Leiter der Hessischen Staatsweingüter, zählt zu fünf Gründervätern der Charta-Bewegung, ebenso wie Erwein Graf Matuschka-Greiffenclau von Schloss Vollrads, die Rüdesheimer Winzer Bernhard und Heinrich Breuer sowie Helmut Becker vom Geisenheimer Institut für Rebenzüchtung und Rebenveredlung. „Sie setzten Maßstäbe für die „klassifizierte Herkunft eines Weins“, heißt es in der Rückschau vom Rheingauer Verband der Prädikatsweingüter (VDP). Nach Ansicht von dessen Präsident, dem Kiedricher Winzer Wilhelm Weil, stand der deutsche Weinbau zu Beginn der 19080er Jahre an einem Scheideweg: Weiter den „Irrweg“ zu gehen, billige und süße Tropfen für den national und internationalen Massenmarkt zu produzieren, oder an das Qualitätsstreben der Vergangenheit anknüpfen, als deutscher Riesling weltweit anerkannt war und in den europäischen Adelshäusern auf den Tisch kam. Dass heute wieder trockene Weine aus besten Rheingauer Lagen gefragt seien, habe die Region auch der Charta-Bewegung zu verdanken, meint Weil.
Dieser eingetragene Verein engagierte sich parallel zum VDP für Rieslinge aus besten Lagen von hoher Qualität. Nach seiner Gründung 1984 stießen bis zu 50 Winzer zu der Vereinigung, die sich als Gegenbewegung „weg vom süßen Massenwein“ und hin zu einem typischen Rheingauer Riesling verstand. Die romanischen Bögen als Markenzeichen auf den Charta-Flaschen sind eine Reverenz an die Frontfenster des Grauen Hauses in Oestrich-Winkel, das als ältestes Steinhaus in Deutschland gilt. Charta-Weine werden bis heute ausschließlich in den klassischen brauen Schlegelflaschen gefüllt. Die Charta-Bewegung war es, die sich Ende der 1980er Jahre an vorderster Front in Deutschland für die Klassifizierung der besten Weinberge engagierte und damit an historische Einteilung von Weinbergen nach der Güte anknüpfte, wie sie erstmals für das Jahr 1867 dokumentiert ist.
Damit sollte die Grundlage für die Erzeugung großer Weine aus besten Weinbergen geschaffen werden. Den Charta-Winzern ging es um eine Korrektur des Weingesetzes von 1971, das bedeutsame Einzellagen hatte verschwinden lassen. Im Jahr 1992 stellen die Charta-Winzer erstmals im Rheingau „Erste Gewächse“ aus zuvor definierten Spitzenlagen vor. Eine inoffizielle Klassifikation, die aber keinen Bestand haben sollte, denn der Rheingauer Weinbauverband nahm sich des Projekts an, und 1999 wurde mit dem Segen des Landes Hessen eine wissenschaftlich erstellte Gütekarte des Rheingaus präsentiert. Auf ihrer Basis sehen sich alle Rheingauer Winzer mit Besitz in den besten Weinbergen in die Lage versetzt, „Erste Gewächse“ zu erzeugen. 1999 war auch das Jahr der Fusion zwischen Charta-Verein und VDP, wodurch der Rheingau trotz personeller Überschneidungen zum mitgliederstärksten größten VDP-Regionalverband in Deutschland aufstieg. Inzwischen ist die Zahl der VDP-Winzer wieder deutlich geringer. Rückläufig war viele Jahre auch die Zahl der Charta-Wein-Erzeuger.
Dabei sieht Mark Barth, Hattenheimer Winzer und stellvertretender VDP-Vorsitzender, unverändert ein großes Potential in diesen Weinen. Für den Johannisberger Winzer Johannes Eser, der als einziger zwei Charta-Weine erzeugt, ist das sein „erfolgreichster trockener Wein“. Nicht in allen Gütern hat er diese hohe Bedeutung, aber auch Winzer Bernd Spreitzer spricht von einem „Herzenswein“. Am 10.. November steht der Charta-Wein anlässlich der Riesling-Gala zum Abschluss der Glorreichen Rheingau Tage im Mittelpunkt. Und nach einer Verkostung mit 20 Charta-Weinen von fünf Erzeugern aus vier Jahrzehnten sahen sich in dieser Woche die Winzer bestärkt, dass der Charta-Wein Zukunft hat.

(aus der FAZ vom 9. November 2024)

Bach-Komposition im Keller

Wer den 525 Liter fassenden Tank mit der Hand berührt, der kann es unmittelbar fühlen: Die Edelstahlhülle vibriert. Es sind nicht irgendwelche beliebigen Schallwellen, die den Behälter und damit auch den darin heranreifenden Wein rund um die Uhr und an sieben Tage in der Woche in Schwingungen versetzen. Sie folgen vielmehr einer Komposition, die Johann Sebastian Bach im Jahr 1741 veröffentlicht hat. Die Goldberg-Variationen in der Haupttonart G-Dur gelten als besonders gelungener Ausdruck barocker Variationskunst. Es zeichnet sich laut Wikipedia „durch einen planvollen Gesamtaufbau mit regelmäßig eingefügten, in den Oberstimmen streng kanonischen Sätzen aus.“ Was das für den Anfang Oktober geernteten Wein bedeutet, will der Mainzer Wissenschaftler Peter Kiefer von der Uni Mainz herausfinden, der die Wechselwirkungen von Klang erforscht und der die Bach-Komposition wegen ihrer intensiven Schwingungen bewusst ausgewählt hat. Peter Winter, Eigentümer des Hattenheimer Weinguts Georg-Müller-Stiftung, spricht von einem „seriösen Experiment“ in seinem Weinkeller, auf dessen Ausgang er selbst sehr gespannt ist.

Dass Winzer bisweilen im Keller ihre Weinfässer mit Musik beschallen, ist nicht neu. Was Winter an dem Projekt elektrisiert, ist der Vergleich. Denn er hat zwei Tanks mit ein und demselben hochwertigen Riesling aus der Lage Hattenheimer Schützenhaus gefüllt. Aber nur einer der beiden – sonst identischen – Stahltanks wird mit den Schallwellen von Bach „behandelt“. Nun gärt der Wein und bleibt auch nach Abschluss der Gärung bis zum Frühjahr mit der Hefe verbunden. Im März oder April wird der Wein dann in Flaschen gefüllt, und die Stunde der Wahrheit nähert sich: Hat Bachs Komposition den Wein geschmacklich verändert?

Winter erwartet, dass die Verkostungen der beiden trocken ausgebauten Weine im Frühjahr eine Veränderung belegen, die allerdings weniger musikalischer, denn physikalischer Natur sein könnte: Wenn die Schwingungen des Tanks dazu beitragen, dass kleine Hefeteilchen im Wein aufgewirbelt werden und deshalb intensiver miteinander in Kontakt geraten, dann könnte das den Geschmack verändern, so Winters Vermutung: „Ich bin sehr gespannt, was dabei herauskommt“. Die Winzer kennen die Methode des manuellen Aufrührens der Hefe schon lange unter dem Begriff Batonnage.

Winter sieht das Experiment auch als eine Reverenz gegenüber dem  Jubiläum 250 Jahre „Entdeckung“ der Spätlese, das 2025 gefeiert wird. Sein Wein ist zwar von Spätlesequalität, doch wird Winter wegen der Statuten des Verbands der Prädikatsweingüter das – ausschließlich süßen Weinen vorbehaltene – Prädikat Spätlese nicht auf das Etikett des Klangweins schreiben. Geplant ist aber eine Sonderedition mit jeweils zwei Flaschen im Paket, die jeweils aus einem der beiden Tanks gefüllt wurden. Dann kann sich jeder Wein- und Musikfreund selbst ein Bild machen, ob Bachs-Kreationen den Riesling – positiv – beeinflusst haben. Und beim Trinken darüber philosophieren, welche Wirkung wohl Heavy Metal gehabt hätte. (aus der FAZ vom 28.10.2024)

Weinernte unter den Erwartungen

Wie glimpflich die Rebstöcke im Rheingau die Spätfröste im April überstanden haben, zeigt die aktuelle Erntebilanz des Deutschen Weininstituts in Mainz. Demnach bewegt sich die Erntemenge der Weinlese mit geschätzt 222.000 Hektolitern auf dem Niveau des Vorjahres. An der Hessischen Bergstraße hingegen verzeichnete man einen Rückgang um sechs Prozent auf 31.000 Hektoliter, im Mittelrheintal um 14 Prozent auf 19.000 Hektoliter und an der Ahr sogar um 64 Prozent auf 15.000 Hektoliter.
In den Weinanbaugebieten in Sachsen und Saale-Unstrut waren die Einbußen mit mehr als 70 Prozent gegenüber dem Vorjahr sogar noch größer. An der Mosel reduzierte zudem großflächiger Hagelschlag im Mai die Erträge. Dort wird mit rund 510.000 Hektolitern die geringste Erntemenge seit 50 Jahren erwartet.
Einziger Gewinner war Rheinhessen. Deutschlands größtes Anbaugebiet steigerte den Ertrag um sieben Prozent auf fast 2,6 Millionen Hektoliter.
Spätfröste, viel Regen und wechselhaftes Wetter während der Weinlese machten laut Weininstitut den Winzern sehr zu schaffen und forderten ihnen ein Höchstmaß an Flexibilität ab. Die Erntemengen seien je nach Anbaugebiet, Rebsorte und Kleinklima großen Schwankungen unterworfen und blieben überwiegend weit hinter den Erwartungen zurück, heißt es aus Mainz.
Auf Basis der aktuellen Schätzung des Deutschen Weinbauverbandes wird in Deutschland eine Erntemenge von rund 7,9 Millionen Hektolitern Weinmost erwartet. Das entspräche einem Minus von zehn Prozent gegenüber dem zehnjährigen Mittel von 8,8 Millionen Hektolitern. Einen ähnlich niedrigen Ertrag hatte es mit 7,5 Millionen Hektolitern zuletzt im Jahr 2017 gegeben.
Das Weininstitut erkennt durch die Regenmengen aber auch positive Effekte auf die Entwicklung der Reben. Wegen der guten Wasserversorgung seien viele Mineralien aus dem Boden in die Trauben eingelagert worden. Das lasse extraktreiche Weine mit ausgeprägter Mineralität erwarten. Zudem habe sich die lange Reifephase positiv auf die Aromabildung in den Beeren ausgewirkt. Angekündigt werden daher „frische, lebendige Weine mit ausgeprägter Frucht“ mit moderatem Alkoholgehalt. Das entspreche „perfekt dem aktuell gefragten Weintyp“.
Der größte Verband der Ökowinzer, Ecovin, beklagt wegen der Spätfröste, Pilzkrankheiten und dem vielen Regen ebenfalls erheblich geringere Erntemengen. Der Pflanzenschutz sei für die Ökowinzer „ein besonders harter Kampf“ gewesen, weil der Einsatz des Pflanzenstärkungsmittels Kaliumphosphonat seit 2014 verboten sei. Die Ökowinzer kämpfen für dessen Wiederzulassung und sehen den Beleg erbracht, dass „der Werkzeugkasten des Bioweinbaus“ angepasst werden müsse.

Zu viel Wein auf dieser Welt !

Wenn das Überangebot einer Ware auf eine rückläufige Nachfrage trifft, dann ist die Krise vorgezeichnet. Die simplen Regeln des Marktes erschüttern die deutsche Weinbranche bis ins Mark. Weltweit wird mehr Wein angebaut als konsumiert. Laut der Internationalen Organisation für Rebe und Wein wurden 2022 global fast 260 Millionen Hektoliter Wein produziert, während der Weinkonsum nur bei rund 232 Millionen Hektolitern lag. Der Weinmarkt ist aus der Balance geraten. Weil sich aber bei der auf mindestens drei Jahrzehnte angelegten Dauerkultur Wein die Erntemengen nicht auf Knopfdruck steuern lassen, sieht sich die Branche inmitten einer Krise, die mancher Winzer als die schlimmste seit dem Weinskandal in den Achtzigerjahren bezeichnet.

Eine kurzfristige Lösung ist die Krisendestillation. Im vergangenen Jahr ist dieses Instrument nach Jahrzehnten erstmals wieder in Deutschland eingesetzt worden. In Württemberg wurden rund acht Millionen Liter zu reinem Alkohol verarbeitet. „Aus Trollinger wird Putzmittel“, schrieb unter anderem die „Stuttgarter Zeitung“ über das traurige Schicksal der liebevoll auch „Schwabenmilch“ genannten Rebsorte. Aber nicht nur Trollinger, auch andere rote Rebsorten wie Portugieser waren nicht verkäuflich. Der Druck im Weinkeller wurde zu groß.

Die Destillation von Wein erlaubt nur ein kurzfristiges Durchatmen. Denn die Rebstöcke tragen im nächsten Herbst abermals. Die Nachfrageschwäche ist aber keine temporäre Delle, wie manche Erzeuger hoffen, sondern ein langfristiger Trend. Absatzforscherin Simone Loose von der Hochschule Geisenheim warnt davor, die gegenwärtige Krise in der Hoffnung auf baldige Besserung aussitzen zu wollen.

Auf dem Fassweinmarkt, auf dem sich Kellereien bedienen, um billige Tropfen für den Supermarkt einzukaufen und abzufüllen, ist der Preisverfall schon angekommen. Zwischen 60 und 80 Cent je Liter werden den Erzeugern derzeit geboten. Betriebswirtschaftlich ist das eine Katastrophe, weil in Regionen wie dem Rheingau die Produktionskosten deutlich darüberliegen. Mindestlöhne, hohe Energiepreise und die Folgen der Inflation haben die Kosten für die Weingüter stark steigen lassen. In diesem Frühjahr kamen Frostschäden und im verregneten Sommer noch hohe Kosten für den Pflanzenschutz hinzu. Und die Schließungswelle bei Gaststätten und die häufig zu beobachtende Verringerung der Öffnungstage tragen ebenfalls nicht zu einem stabilen Weinkonsum bei.

Besserung ist nicht in Sicht. Dies ist vor allem auf den demographischen Wandel und die veränderte Einstellung junger Menschen zu Alkohol als Alltagsdroge zurückzuführen. Die Zahl der „Komasäufer“ unter den Jugendlichen, die vor Jahren noch für Schlagzeilen sorgten, wird immer kleiner. Aber immer mehr in dieser Alterskohorte pflegen einen gesünderen Lebensstil („No and low“!) und verzichten teilweise oder ganz auf Alkohol. Die Zahl der deutschen Haushalte, die zumindest gelegentlich noch Wein einkaufen, ist auf knapp über 40 Prozent gefallen. Im Jahr 2023 konsumierten die Deutschen mit durchschnittlich 22,5 Liter Wein und Sekt fast einen Liter weniger als im Vorjahr. Das ist eine dramatische Entwicklung.

Wer die Weinregale in Supermärkten studiert, wo der Großteil des Weins gekauft wird, der schaut auf jeden Cent und greift im Zweifel zur ausländischen Konkurrenz. „Es sind riesige Probleme, vor denen wir derzeit in der Weinwirtschaft stehen“, sagte der Pfälzer Weinbaupräsident Reinhold Hörner kürzlich dem Südwestrundfunk, und er befürchtet in den kommenden zehn Jahren die Aufgabe von fast jedem zweiten Betrieb.

Die Zahl der Weinpatrioten, die wegen der Qualität deutschen Wein bevorzugen, ist in Deutschland geringer als in anderen Erzeugerländern. Der Marktanteil des deutschen Weins ist hierzulande auf 42 Prozent gefallen. Ein erschütternd geringer Wert. Erklärungsversuche bleiben in der Regel beim geschickteren Marketing und den niedrigeren Preisen der ausländischen Konkurrenz stecken. Der Stolz der Deutschen auf „ihren“ Riesling und Spätburgunder ist nach Ansicht der Winzer jedenfalls ausbaufähig.

Hinzu kommt: Die Alterskohorte der bislang regelmäßigen Weingenießer wächst langsam aus der Lebensphase des häufigen und intensiven Konsums hinaus. Eine nachwachsende Weingenussfraktion in vergleichbarer Stärke ist nicht in Sicht. Als wäre diese Entwicklung aus Sicht der Winzer nicht schon schlimm genug, meldet sich mitten in dieser krisenhaften Zuspitzung die Deutsche Gesellschaft für Ernährung zu Wort und empfiehlt nachdrücklich, die Finger besser vom Alkohol zu lassen, um Krankheitsrisiken zu vermeiden. Entsprechend drastisch fielen die wenig schmeichelhaften Kommentare der Winzer aus. Der Export verspricht kaum Entlastung, zumal in Märkten wie China die Eigenversorgung mit Wein gewachsen ist und gleichzeitig von der obersten Führung Skepsis gegenüber dem Getränk Wein als Ausdruck des westlichen Lebensstils verbreitet wird. Nicht ausgeschlossen, dass der sich anbahnende Handelsstreit mit China wieder Zölle für europäischen Wein zur Konsequenz haben wird.

Die Folge der Krise: Weltweit und in Deutschland wird über die Rodung von Weinbergen nachgedacht. Dabei trifft die Absatzflaute die 13 deutschen Weinregionen in unterschiedlichem Maß. Anbaugebiete wie der Rheingau, wo der Anteil der Direktvermarktung sehr hoch ist und viele Winzer einen treuen Privatkundenstamm aufgebaut haben, sind weniger betroffen als größere Gebiete wie beispielsweise Rheinhessen. Doch die Kauf- und Pachtpreise für Weinberge sind auch im Rheingau stark rückläufig. Womöglich wiederholt sich ein Phänomen wie vor zwei Jahrzehnten, als am nördlichen Rand der Weinbergslandschaft vermehrt brach gefallene Weinberge als Pferdekoppeln genutzt wurden

Gleichzeitig setzt sich die Konzentration in der Branche unvermittelt fort. Immer weniger Weingüter bewirtschaften immer mehr Fläche. Doch die Neigung der Großbetriebe, die Parzellen aufgebender Kleinwinzer zu übernehmen, ist längst nicht mehr so ausgeprägt wie noch vor wenigen Jahren. Im Rheingauer Weinbauverband wird schon darüber nachgedacht, ob es eine Lösung sein kann, Weinberge für bis zu acht Jahre brach liegen zu lassen. Auch eine ökologische Umgestaltung der Weinberge, die auf Kosten der Produktionsmenge Platz für mehr Artenvielfalt in der Monokultur schafft, könnte helfen. Am Ende wird es nicht ohne mit staatlicher Finanzhilfe ermöglichte Rodungen von Weinbergen gehen. Ein Vorschlag lautet, die sonnenverwöhnten Steilhänge mit Freiflächensolaranlagen zu bestücken, um grünen Strom zu liefern. Für die Flachlagen blieben aber nur Kartoffeln, Getreide oder Obst. Sicher ist: Die Kulturlandschaft steht – wieder einmal – vor einem tiefgreifenden Wandel.

(mein Essay aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 13. November 2024)

Neues aus meinem Verkostungstagebuch

wie gewohnt kurze Notizen über das, was zuletzt im Glas war…

Corvers-Kauter, Mittelheim

2023 Rauenthaler Baiken Riesling trocken – jedes Jahr aufs Neue begeisternd, was Familie Corvers aus Baiken zaubert – und  Langwerth von Simmern in dieser Brillanz und Eleganz so nie geschafft hat. Feinfruchtig mit langem Nachhall und hohem Trinkfluss

Balthasar Ress, Hattenheim

ein „neues“ Trio der Ersten Lagen: 2023 Rüdesheimer Bischofsberg und Hallgartener Würzgarten sowie Hallgartener Hendelberg. Da kommt Freude auf. Vor allem der Bischofsberg vereint Fruchtfülle mit Mineralität und entfaltetet großem Charme am Gaumen

Heymann-Löwenstein, Leiwen

2010 Uhlen Schieferformation Blaufüßer Lay trocken…. ein Monster mit 14,5 Prozent Alkohol. Fett, anstrengend, Trinkwiderstand! Ein kleines Glas zum Essen, ok, ansonsten würde ich wohl eine Woche brauchen, um die Flasche zu leeren.

Von Volxem, Saar

2018 Riesling „Alte Reben“

sehr gut gereift, Top, guter Trinkfluss, leicht nussige, cremige Aromen, perfekt am Gaumen, macht Spaß

Künstler, Hochheim

2022 Hocheimer Stielweg Alte Reben VDP 1.Lage trocken

2023 Chardonnay Kalkstein trocken

beides im neuen Chamamé in Künstlers Dependance in Hattenheim, ehemals Schloss Schönborn, getrunken. Wer Fleisch mag, ist hier sehr gut aufgehoben, gerade auch montags bei ungezwungener Atmosphäre.

Charta-Weine

40 Jahre Jubiläum, und Hubert Allerts Keller & Kunst-Kontor hat sich zu einer kleinen Charta-Botschaft mit einer schönen Auswahl gemausert. 7 der aktuell 14 Charta-Weine habe ich dort verkostet: August Eser, Barth, Diefenhardt, Jakob Jung, Spreitzer, Staatsweingüter (neu!) und das „Fass 52“ von Eser (Johannishof), das bei mir im direkten Vergleich die Nase vorn hatte (es fehlten natürlich Weil und Wegeler zur finalen Ausage…)  Zum Jubiläum zu gegebener Zeit noch mehr!

2022 „Neroberger“ der Hessischen Staatsweingüter Kloster Eberbach

für mich immer eine Bank im Sortiment der Staatsweingüter (VDP 1. Lage) mit einer guter Mischung aus Frucht und Terroir. Ich habe ihn bei einem kleinen Wiesbaden-Ausflug direkt mit Blick auf den 4 Hektar großen Weinberg getrunken. Der Weinberg hat eine schöne Geschichte: Im 17. Jahrhundert durch die Grafen von Nassau angelegt, 1866 mit dem gesamten Herzogtum in preußischen Besitz übergegangen und um 1900 für 250.000 Goldmark an die Stadt Wiesbaden verkauft, um den mehr als 1,1 Millionen Euro teuren Kauf von 19 Hektar Filetstücken im Rauenthaler Baiken finanzieren zu können. Im Jahr 2005 dann wieder langfristig zurückgepachtet von der Stadt. Eine wunderbare Monopollage !

Zur Lage: Riesling gibt Rätsel auf

Die Winzer beschäftigen aktuell nur schwer zu erklärende Reifeverzögerungen beim Riesling: Beim Mostgewicht haben die Rieslingtrauben im September nur mäßig zugelegt, während die Säurewerte stagnierten (noch über 13g) und noch immer recht hoch sind. Zu hoch, um mit der diesjährigen Weinlese auf breiter Front zu starten. Mit dem Beginn der Hauptlese ist daher vorerst noch nicht zu rechnen. Manfred Stoll, Leiter des Instituts für allgemeinen und ökologischen Weinbau der Hochschule Geisenheim geht davon aus, dass es noch bis zu zwei Wochen dauern könnte, bis sich eine „Harmonie“ von Zucker und Säure in den Beeren eingestellt habe. Das hieße, dass die Oechslewerte auf durchschnittlich 85 Grad zugelegt haben und dass die Säure dann auf knapp unter zehn Gramm je Liter Most gefallen ist.

Ob die Natur den bislang noch entspannten Winzern so lange Zeit gibt, oder ob zunehmende Fäulnis eine frühere Ernte erzwingt und im Nachgang womöglich eine Entsäuerung im Weinkeller notwendig macht, ist noch ungewiss. Weinbaupräsident Peter Seyffardt kann sich an eine derartige Reifeverzögerung bei früheren Jahrgängen nicht erinnern, aber sieht darin noch lange keine Hypothek für den Jahrgang 2024: „Da kann noch was Gutes entstehen.“ Seyffardt sieht sich allerdings wie andere Kollegen gezwungen, die schon angereisten Lese-Mannschaften nach Abschluss der Burgunder-Ernte mit anderen Arbeiten im Weinberg zu beschäftigen, ehe es endlich an die Hauptsorte Riesling gehen kann. So viel von Hand entblättert wurde daher selten im Rheingau.

Die Gründe für die Reifeverzögerung sind für Praktiker und Wissenschaftler gleichermaßen mysteriös. Am Wasser vom Himmel und entsprechend der Feuchtigkeit im Boden hat es in diesem Jahr jedenfalls nicht gemangelt. Zwischen Januar und Juli fiel in jedem Monat mehr Regen als im langjährigen Durchschnitt. In Geisenheim wurden schon jetzt 126 Liter mehr je Quadratmeter registriert als im langjährigen Mittel. Das Jahressoll ist schon fast erfüllt. Die Natur habe „durchatmen“ können, so Stoll.

Die hohen Temperaturen im Frühjahr hatten einen frühen Austrieb zur Folge, gefolgt vom Blütebeginn zum Ende der ersten Juniwoche und dem Reife-Start Mitte August. Der viele Regen forderte die Winzer im Kampf gegen die beiden gefährlichsten Krankheiten im Ertragsweinbau: Den falschen (Peronospora) und echten (Oidium) Mehltau. Vor allem die Ökowinzer waren deshalb beim Pflanzenschutz stark gefordert und musste laut Stoll etwa doppelt so häufig zum Spritzeinsatz in die Weinberge als ihre integriert wirtschaftenden Kollegen. Stoll hält es für möglich, dass Mehltaubefall mit der Folge reduzierter Photosynthese ein Grund für die Reifeverzögerung sein könnte. Für Praktiker wie Seyffardt liegen die Ursachen ebenfalls nicht auf der Hand: „Ich erlebe das so zum ersten Mal, und es kommt immer anders, als man denkt.“

Glimpflich davongekommen ist der Rheingau zwischen dem 22. und 26. April, als Spätfröste in einigen Teilen Deutschlands hohe Schäden in der Landwirtschaft verursachten. Weil die Hauptlese noch gar nicht begonnen hat, sind die Ernteerwartungen im Hinblick auf Qualität und Quantität  noch mit großen Unsicherheiten behaftet. Entscheidend wird auch das Wetter in den kommenden vier bis sechs Wochen sein. Ergiebige Regenfälle wurden die Erwartungen weiter eintrüben. Noch aber gebe es überhaupt keinen Grund für Panik, so Seyffardt. Der Weinbau sei jedes Jahr aufs Neue eine Herausforderung: „Es gibt keine Blaupause“. (leicht gekürzt aus meinem Bericht in der FAZ vom 24. September)

Im gelobten Land: Baden

Endlich mal wieder eine Woche am Kaiserstuhl und in der Ortenau, wo ich mich als gebürtiger Badener natürlich besonders wohl und heimisch fühle. „Mit jedem Schluck heimischen Weins, den sie genießen, tragen Sie als Freunde des Kaiserstuhls zum Erhalt der jahrhundertealten wertvollen Kultur und Landschaft in vielfältiger Weise bei“, hieß es dort am Wegesrand. Wohl wahr, aber gilt natürlich auch für den Rheingau.

Natürlich haben wie viele Klassiker getrunken (Dr. Heger, Huber, Franz Keller, Bercher, Salwey, Abril u.a.), aber auch zwei bemerkenswerte Neuentdeckungen gemacht: Höfflin und Konstanzer. Höfflin hat ein überaus spannendes Konzept, mag Piwis und überdies Natur- und Orangeweine. Dass ich als ausgewiesener Orange-Wein-Hasser den Naturreich-Chardonnay gelobt und sogar gekauft habe, will etwas heißen. Das ist auf jeden Fall ein Tipp für jeden, der demnächst in die Region um Bötzingen reist. Hingehen und probieren! Das gilt auch für Konstanzer, wo gerade die Umstellung auf ökologischen Anbau vollzogen wurde. Spannende Weine mit einem sehr guten Preis-Leistungsverhältnis, vor allem der Chardonnay und der Spätburgunder „Winklen“ überzeugten mich restlos (gekauft!) Ansonsten eine auch kulinarisch gelungene Woche mit Sauerbrauten, Rostbraten, Maultaschen, Spätzle und mehr. Wer in der Ortenau übernachten und speisen will, dem sei der Rebstock in Durbach wärmstens empfohlen, wo mehrere Prädikatswanderwege mit phänomenaler Aussicht locken.

Droht ein Flickenteppich?

Wird die Kulturlandschaft des Rheingaus als Folge der Weinmarktkrise zum Flickenteppich aus verwilderten und brach gefallenen Weinbergen? Mehr Engagement für die Artenvielfalt könnte ein Ausweg sein. Die aktuelle Krise des Weinbaus ist keine „Delle“ von überschaubarer Dauer, sondern Ausdruck eines tiefgreifenden Wandels. Gerade erst ermittelten Marktforscher, dass die Weineinkäufe der privaten Haushalte im ersten Halbjahr um fast vier Prozent rückläufig waren. Damit setzte sich der Negativtrend der beiden Vorjahre fort. Die globale Überproduktion von Wein trifft auf sich wandelndes Konsumverhalten, auf ein wachsendes Gesundheitsbewusstsein, eine größere Distanz auch der jüngeren Generation zum Alkohol und eine immer älter und deshalb schrumpfende Generation leidenschaftlicher Weintrinker.

Die Destillation von Millionen Liter Wein zu Alkohol wie im vergangenen Jahr in Württemberg verschafft nur kurzfristig Erleichterung im Keller. Eine nachhaltige Marktentlastung setzt die Rodung von Weinbergen voraus. Diese Einsicht ist auch im Rheingau angekommen. Auf der jüngsten Sitzung des Hauptausschusses des Rheingauer Weinbauverbandes wurde als eine Ursache der Absatzkrise in Deutschland der mangelnde Weinpatriotismus identifiziert. Das sei in Nachbarländern wie Frankreich oder Österreich anders, so die Meinung der Winzer. Der Deutsche sei nicht bereit, für deutsche Weinqualität mehr Geld auszugeben als für die spanische Konkurrenz, die deutlich günstiger produzieren könne. Auch das bestätigen Markterhebungen:  Der inländische Marktanteil der hiesigen Erzeuger ist im ersten Halbjahr 2024 überproportional auf 42 Prozent gefallen.

Für Gesprächsstoff in der Branche sorgen zudem Zahlen des Deutschen Weininstituts, wonach im ersten Halbjahr noch gut 40 Prozent der deutschen Haushalte zumindest gelegentlich Wein eingekauft haben. Die Absatzanalyse der Hochschule Geisenheim bestätigt einen anhaltenden Negativtrend mit einem jeweils zweistelligen Minus bei Absatz und Umsatz. Liegt es am Marketing? Sollten die Erzeuger besser Betriebswirtschaftslehre statt Weinbau studieren und sich auf Verkauf und Vertrieb ihrer Erzeugnisse konzentrieren, statt selbst mit dem Schmalspurtraktor durch die Rebzeilen zu fahren oder die Rebstöcke von Hand zu pflegen?

Nach Ansicht von Weinbaupräsident Peter Seyffardt hat es der Rheingau jedenfalls nicht geschafft, eine überzeugende Marke zu bilden. Der Rheingau müsse über eine Qualitätsoffensive nachdenken, was Verbandsgeschäftsführer Dominik Russler für den einzig erfolgversprechenden Weg in die Zukunft hält. Denn bei den Produktionskosten kann der Rheingau nach übereinstimmender Analyse aller Beteiligten nicht mit dem meisten anderen deutschen Weinregionen und schon gar nicht im internationalen Maßstab mithalten. Die Rheingauer wollen sich darauf besinnen, dass sie nur für drei Prozent der deutschen Weinproduktion stehen und diese geringe Menge in der bevölkerungsstarken und wirtschaftlich prosperierenden Rhein-Main-Region eigentlich gut vermarktbar sein müsste. Doch die Realität sieht anders aus, und die Ursache bleibt den Winzern rätselhaft.

Hoffnung macht ihnen, dass nach ihrer Überzeugung die naturräumliche Ausstattung des Rheingaus mit dem Rhein im Süden und dem waldreichen Taunus im Norden sowie dem anmutigen Landschaftsbild ein Pfund vorhanden ist, mit dem sich nicht nur in der Rhein-Main-Region wuchern lässt. Vielen Betriebe gehe es wirtschaftlich noch immer sehr gut, sagte Präsident Seyffardt, der dazu auch sein eigenes, gerade erst um eine neue Kellerei erweitertes Weingut in Martinsthal zählt. Andere Erzeuger gehen davon aus, dass die Aussichten auf dem Heimatmarkt düster bleiben und die Hoffnung bei absehbar reduzierter Rebfläche im Export liegt, wo höhere Preise durchsetzbar erscheinen. Die Vorboten einer Flächenreduktion sind dennoch auch im Rheingau erkennbar, denn die Pacht- und Kaufpreise für durchschnittlich gute Weinberge sind im Sinkflug, und vereinzelt fallen dem Wanderer nicht mehr bewirtschaftete Flächen auf. Sie sind den Winzern ein Dorn im Auge, weil sie zur Verbreitung von Schädlingen und Krankheiten beitragen, häufig zuwuchern und Wildschweinen ein Versteck bieten. Der Marktpreis für Fasswein liegt mit rund 80 Cent je Liter unter den Produktionskosten im Rheingau.

Sind deshalb gezielte Brachflächen eine Lösung, um mit dem Druck des Weinmarktes umzugehen? Immerhin haben die Winzer nach dem Roden der Rebstöcke zwei Jahre Zeit, Anträge auf Wiederbepflanzung zu stellen und dann noch einmal sechs Jahre, um tatsächlich neue Rebstöcke setzen zu lassen. Das könnte temporäre Entlastung bringen oder den Weg  zum Ausstieg aus der Bewirtschaftung ebnen. Doch eine Kulturlandschaft als „Flickenteppich“ schreckt viele, wenn auch nicht alle Winzer. Wie mit diesen Brachflächen umzugehen wäre, darüber müssen sich die Winzer noch Gedanken machen. Kompliziert wird eine zügige  Bodenneuordnung jenseits der Jahrzehnte dauernden Flurbereinigung durch die kleinstrukturierten und komplizierten Besitzverhältnisse. Manche Parzelle gehört einer Erbengemeinschaft in fünfter Generation. Branchenkenner gehen davon aus, dass absehbar viele Kleinstwinzer im Rheingau aufgeben, deren Flächen sich aber auf 300 bis 400 Hektar summieren. Angesichts der Absatzkrise gilt die Neigung der Großbetriebe als sehr überschaubar, immer noch weitere Weinberge in ihr Portfolio aufzunehmen.

Was tun? Weinberge müssen gerodet werden, um den Gesetzen des Marktes zu folgen. Das ist auch die Überzeugung des Geschäftsführers der Staatsweingüter, Dieter Greiner, der die Erarbeitung einer Art Masterplan für den Rheingau fordert und eine Antwort auf die Frage zu finden: Wie könnte die Weinbergslandschaft der Zukunft aussehen?

Ilona Leyer vom Institut für angewandte Ökologie der Hochschule Geisenheim entwickelt Ideen, wie der Erhalt der Kulturlandschaft und mehr Engagement für die Artenvielfalt Hand in Hand gehen können. Sie plädiert dafür, mehr Vielfalt in die Monotonie der Weinbergslandschaft zu bringen. Ein Konzept nach dem Motto „zurück in die Zukunft“, denn in der Vergangenheit war die Weinbergslandschaft viel kleinteiliger mit der Folge von mehr Säumen, Rainen, Hecken, Gräben, Bäumen und Lesestein-Haufen. Das Rad sei zwar nicht um ein halbes Jahrhundert  zurückzudrehen, so Leyer, doch hätten es die Winzer in der Hand, kleine Ecken und Zipfel von Weinbergen, wo meist nur einige wenige Rebstöcke stehen, für mehr Artenvielfalt freizugeben. In ganz Deutschland beteiligen sich inzwischen mehr als 30 Weingüter an diesem Konzept, im Rheingau zählen die Staatsweingüter und das Rüdesheimer Weingut Georg Breuer dazu.

Zur Veränderung der Weinbergslandschaft gehört auch eine Zäsur beim Wassermanagement. Lange Betonrinnen gen Rhein zeugen noch von der Philosophie, das Niederschlagswasser möglichst schnell aus den Weinbergen abzuführen. Angesichts der sich häufenden  Dürrephasen und dem Trockenstress der Reben in wasserdurchlässigen Böden hat ein Umdenken eingesetzt. Es geht nun darum, das Wasser möglichst lange in der Gemarkung zu halten und es dort zu versickern, statt schnell in den Rhein abzuleiten. „Die Flurbereinigung muss komplett umdenken“, sagt Seyffardt, der die Bestrebungen der Stadt Eltville für ihre Bemühungen lobt, das Regenwasser möglichst lange in den Weinbergen zu halten.

Im Geisenheimer Fuchsberg wird gerade eine solche Betonrinne in ein Bachbett mit Mulden und Mäandern umgebaut, und „das funktioniert sehr, sehr gut“, so Leyer. Der Umbau trage zur Artenvielfalt und zum Hochwasserschutz bei und helfe den Reben, sagt die Professorin, die zudem für mehr Blühstreifen, für breitere Rebzeilen mit dauerhafter Begrünung in der Mitte und der Pflanzung von Solitärbäumen plädiert. Nicht alles überzeugt die Winzer. Viele haben die Sorge, dass mehr Brachflächen verwildern und zum Hort von Wildschweinen werden. Auch Bäume im Weinberg werden skeptisch gesehen, weil sie die Wasserversorgung der Reben stören könnten. Am wenigsten scheint  die Winzer der überschaubare Ertragsverzicht durch mehr Engagement für Artenvielfalt und Strukturreichtum in der Weinkulturlandschaft zu schrecken. Denn Wein gibt es mehr als genug.   

(aus meinem Bericht für die FAZ)