Auf der Spur des Spätlesereiters

Die „Entdeckung“ der Spätlese wegen eines verspäteten Traubenkuriers im Herbst des Jahres 1775 nimmt der Geschäftsführer von Schloss Johannisberg Stefan Doktor, zum Anlass für eine „Spätlesereiter-Tour 2.0“. Statt auf ein Pferd schwingt sich Doktor auf einen Drahtesel. Mit dem Rennrad startet er am 4. September auf die 180 Kilometer lange Route nach Fulda, die er in drei Etappen bewältigen will. In „Vertretung“ des Fürstbischofs wird Oberbürgermeister Heiko Wingenfeld den Radler aus dem Rheingau im Schlosshof während des Fuldaer Weinfestes empfangen und ihm – nach der Prüfung der mitgebrachten Weintrauben – die Leseerlaubnis erteilen.

Damit es Doktor nicht wie dem namentlich unbekannten Boten vor 250 Jahren ergeht und die Lese-Erlaubnis erst mit zwei Wochen Verspätung eintrifft, während die Trauben zu faulen beginnen, soll die Freigabe zum Start der diesjährigen Weinernte dem Außenbetriebsleiter und Önologen von Schloss Johannisberg, Michel Städter, via Smartphone übermittelt werden. Mit seiner symbolischen Traubenreise von Johannisberg nach Fulda will das Schlossweingut die Geschichte lebendig werden lassen. Die Route mit ihren rund 1000  Höhenmetern führt durch das Rhein-Main-Gebiet und weiter in den hessischen Spessart. Vor dort geht es über das Kinzigtal  bis nach Fulda. Ein Stopp ist in Gründau-Lieblos geplant – in Anlehnung an die Darstellung im Comic „Karl, der Spätlesereiter“, wonach der Traubenbote dort überfallen wurde.

Guter Wein, miese Stimmung

Während sich die Winzer auf die heranrückende Lese vorbereiten – und mit der Traubenernte für Federweißen und Sektgrundweine schon begonnen haben-, habenWeinjournalisten, Sommeliers und Fachhändler in Wiesbaden ihr finales Urteil über den deutschen Weinjahrgang 2024 gefällt. Rund 260 Weinexperten waren auf Einladung der 200 deutschen  Prädikatsweingüter (VDP) im Kurhaus zusammengekommen, um an drei Tagen fast 500 Weine aus allen 13 deutschen Anbaugebieten zu verkosten.

Das sind zwar längst nicht alle deutschen Spitzenweine, denn nicht jeder qualitätsorientierte Erzeuger ist Mitglied der Prädikatsweingüter. Doch auf den Verkostungstischen in den Kurhaus-Kolonnaden landet alljährlich ein repräsentativer Querschnitt von Weinen aus den anerkannt besten deutschen Weinbergslagen. Die Güte der Weinberge ist das Qualitätsmerkmal im deutschen Weinbau, nachdem der Klimawandel das Erreichen hoher Mostgewichte nahezu mühelos ermöglicht. Auch der Deutsche Weinbauverband hat sich vor vier Jahren von einer Hierarchie verabschiedet, in der die besten trockenen Weine maßgeblich durch Öchslegrade bestimmt werden. Ausgewiesene Lagenweine von hoher Qualität sind seit 2021 das höchste Ziel im Weinbau.

Für den VDP ist die Spitze der Herkunftspyramide, die trockenen „Großen Gewächse“, nicht nur für das Renommee von großer Bedeutung, sondern auch in ökonomischer Hinsicht. Laut VDP liegt der Durchschnittspreis für deutschen Wein bei 4,47 Euro je Liter, während die Einstiegsqualität der VDP-Gutsweine für 11,60 Euro über die Theke geht. Sie stehen für zwei Drittel des Absatzes der VDP-Güter. Dagegen nehmen sich die sieben Prozent „Große Gewächse“ bescheiden aus, doch liegt ihr Durchschnittspreis inzwischen bei 40 Euro je Liter. Im internationalen Maßstab gilt das für Spitzenweine immer noch als günstig.

Es war in Wiesbaden eine Weinverkostung in schwierigen Zeiten. Die Branche diskutiert besorgt die Folgen von Inflation, Kostensteigerungen, Konsumzurückhaltung, Zöllen sowie von höheren Mindestlöhnen und befürchtet einen absehbaren Rückgang der Rebfläche von bis zu 30.000 Hektar – bei rund 100.000 Hektar Gesamtrebfläche in Deutschland – mit dramatischen Folgen für die Kulturlandschaft.

Erst kürzlich hatte der Deutsche Weinbauverband eine „tiefgreifende strukturelle Krise“ der europäischen Weinwirtschaft durch Preisverfall, Überproduktion, Klimawandel und wirtschaftlichen Druck beklagt und die Unterstützung der Politik durch eine „entschlossene nationale Antwort“ gefordert. „Der weinbaupolitische Stillstand in Berlin muss jetzt ein Ende haben“, sagte der deutsche Weinbaupräsident Klaus Schneider und verlangte ein klares Bekenntnis der Politik zu den deutschen Winzern.

Vor diesem Hintergrund ist der Jahrgang 2024 mit seinen aus VDP-Sicht „außergewöhnlich kleinen Erträgen“ ein passender, denn viele Lager sind noch gut gefüllt. Die Qualität ist sehr gut, wie eine VDP Rheingau organisierte Verkostung der Großen Gewächse aus der Region zwischen Lorch und Hochheim zeigte. Für den Rheingauer  VDP-Vorsitzenden Wilhelm Weil ist der Weinjahrgang 2024 für eine lange Lagerung und hohes Trinkvergnügen prädestiniert. Aber auch unter den Rheingauer Winzer war die schwierige wirtschaftliche Lage ein Dauerthema.

Die Menge der sehr guten 2024er ist zudem imitiert. Laut VDP war 2010 das letzte Jahr, in dem vergleichbar wenig geerntet wurde. 2024 werde als Jahrgang „mit geringen Erträgen, aber hohe Ausdruckskraft“ in die Annalen eingehen. Als Auswege aus der Weinkrise gelten unter den VDP-Weingütern eine weitere Diversifizierung der Absatzwege und eine Stärkung des Exportes. Bislang hat der – zunehmend schwierigere – Heimatmarkt mit einem Umsatzanteil von 75 Prozent die bestimmende Rolle. Im vergangenen Jahr mussten die VDP-Weingüter einen Absatzrückgang um zehn Prozent auf 35,7 Millionen Flaschen verkraften. Getroffen hat es vor allem jene Weingüter, die auch im Lebensmitteleinzelhandel vertreten sind. Die Discounter, die den  größten Marktanteil beim Weinverkauf haben spielen für die VDP-Weingüter hingegen kaum eine Rolle. Die wichtigsten Exportmärkte sind neben den skandinavischen Ländern vor allem die Niederlande, Großbritannien, die Vereinigten Staaten, Belgien und die Schweiz. Weil die deutschen Winzer angesichts der hohen Produktionskosten keine Billigware erzeugen können, gilt die Konzentration auf Qualität bei niedrigen Erträgen als einzig gangbarer Ausweg.

Rettet die Steillagen – aber wie?

Die Technik ist längst soweit: Sprühdrohnen könnten schon heute am Weingut mit Pflanzenschutzmitteln befüllt werden, selbständig starten, per Satellitennavigation die für den Pflanzenschutz ausgewählte Weinbergsparzelle ansteuern, automatisiert das Schutzmittel ausbringen und zum Auftanken und Aufladen wieder zurückfliegen. Für die aufwendige und teure Bewirtschaftung der Steillagen wäre das ein Fortschritt. Gerade in Zeiten der Weinkrise, in denen die Aufgabe nennenswerter Rebflächen droht, weil sie nicht mehr bewirtschaftet werden können, wäre das eine Hilfe. Doch die Regularien verhindern moderne Strategien im Pflanzenschutz. Denn ein Drohnenpilot muss immer in Sichtweite der Drohne sein, auch wenn sie ihre Aufgabe selbständig erfüllt. Und er muss obendrein von einem weiteren Aufpasser unterstützt werden.

Derart praxisferne Regeln müssen fallen. Der Erhalt der landschaftsprägenden Steillagen in einer Phase, in der die Weinbranche mit einer ernsten Absatz- und Konsumkrise von nicht absehbarer Dauer kämpft, ist ein Anliegen des Weinbauverbandes. Wie das gelingen kann, darüber gehen die Meinungen innerhalb der Winzerschaft aber deutlich auseinander.

Für die Hessischen Staatsweingüter schließt Anke Haupt die Aufgabe der Bewirtschaftung einzelner Weinberge nicht mehr aus. Die Staatsweingüter haben mehr als 50 Hektar Steillagen und entsprechend hohe Kosten. „Wir wissen um den historischen Wert der Steillagen“, sagt Haupt mit Blick auf den Wiesbadener Neroberg, dessen 500. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wurde. „Aber muss es jede steile Parzelle sein?“

Bewässerung und „Piwis“ kein Allheilmittel

Nach dem Abgang von Geschäftsführer Dieter Greiner sieht Haupt die Staatsweingüter im Umbruch: „Wir stellen vieles auf den Kopf.“ Dazu gehöre auch, das Portfolio der Weinberge genau unter die Lupe zu nehmen. Eine Bewässerung der Weinberge sei dabei nicht die alleinige Lösung. Denn sie habe keinen Einfluss auf den Ertrag, sondern nur auf die Vitalität der Reben.

Im Weingut der Hochschule Geisenheim lautet eine Antwort auf die Frage nach dem Schicksal der Steillagen: „Piwis“. Die Abkürzung steht für pilzwiderstandsfähige Rebsorten, die deutlich weniger Aufwand im Pflanzenschutz verursachen und damit auch geringere Kosten. An der Hochschule selbst wird auch für den Einsatz der Drohnentechnik geworben. Diese hätten gegenüber dem Hubschrauber viele Vorteile. Die Flughöhe sei niedriger, der Lärm geringer, der Einsatz flexibler und automatisiert möglich, wenn erst einmal die rechtlichen Hürden gesenkt würden.

Hubschrauber haben beim Pflanzenschutz Vorteile

Davon sind aber nicht alle Winzer überzeugt. Die Lorcher Winzerbrüder Laquai sehen Vorteile beim Hubschrauber-Sprüheinsatz durch die bessere Verwirbelung und Abdeckung der Rebstöcke. Wenn die Laubwand im Hochsommer erst einmal dicht und hoch ist, halten sie autonom fahrende Sprühroboter für geeigneter zur Benetzung der Traubenzone mit Pflanzenschutzmitteln. In Lorch, so ihre Beobachtung, seien bislang kaum Drohnen für den Pflanzenschutz im Einsatz, zumal die Kosten nicht viel niedriger als für den Hubschrauber seien. Aus ihrer Sicht ist eine Ausweitung der Querterrassierung von steilen Weinbergen ein Instrument für den Erhalt der Steillagen. Die Brüder haben inzwischen die Hälfte der 23 Hektar Rebfläche quer zum Hang angelegt, was die maschinelle Bearbeitung stark erleichtert. Dass damit etwa ein Drittel weniger je Hektar geerntet wird, ist in Zeiten nachrangig, in denen genügend Weinberge verfügbar sind. Dann kommt es ihrer Ansicht nach vor allem auf die Produktionskosten je Flasche und nicht auf den Ertrag je Hektar an. Zumal die Querterrassen ein Gewinn für die Artenvielfalt seien.

Aber auch diese Methode ist nicht unumstritten. Der Hochheimer Winzer Gunter Künstler sieht auch Nachteile durch den radikalen Eingriff in die Bodenstruktur eines Weinbergs. Unstrittig ist, dass Verbraucher kaum bereit sind, für Steillagenweine mehr Geld auszugeben. Für Seyffardt eine ungute Folge des Weingesetzes von 1971 und der „Egalisierung“ herausragend guter Weinbergslagen. Seyffardt plädiert dafür, die Wertigkeit der Steillagen bei der Vermarktung stärker hervorzuheben.

Henkell-Freixenet mit Winzerzekt

Der globale Sektmarktführer Henkell-Freixenet mit Sitz in Wiesbaden erweitert das Portfolio seiner Premium-Marke „Fürst von Metternich“ um drei Winzersekte, für deren Grundweine das zum Konzern gehörende Schloss Johannisberg im Rheingau verantwortlich zeichnet. Anders als die Standardvarianten Fürst von Metternich, die zum empfohlenen Verkaufspreis von 9,99 Euro in den Regalen der Einkaufs- und Supermärkte stehen – und bei Aktionen sehr häufig deutlich preiswerter zu haben sind-, werden diese drei Sekte wegen der limitierten Verfügbarkeit nahezu ausschließlich im hauseigenen Online-Shop und im Verkaufsladen am Stammsitz in Wiesbaden angeboten.

Abgefüllt in einer besonderen Flasche mit neuem Etikett werden ein Rieslingsekt, ein Rosé-Sekt aus der Rebsorte Spätburgunder und ein Chardonnay-Sekt für jeweils 19,99 Euro angeboten. Nach Angaben von Stephan Doktor, dem Geschäftsführer auf Schloss Johannisberg, stammen die Chardonnay-Trauben aus der Lage Geisenheimer Mönchspfad und die Spätburgunder-Trauben aus Parzellen in Rüdesheim, Geisenheim und Johannisberg, die ehedem vom Weingut Mumm bewirtschaftet worden waren.

Für die Verwendung des Begriffs Winzersekt müssen gemäß hessischer Weinverordnung zahlreiche Kriterien erfüllt werden. Winzersekte sind demnach immer aus deutschem Qualitätsschaumwein hergestellt unter Verwendung von Trauben aus eigener Produktion nach der Methode der klassischen Flaschengärung. Mit zwölf Gramm Restzucker je Liter sind die drei Henkell-Winzersekte geschmacklich an der Grenze zwischen „brut“ und „extra trocken“ angesiedelt. Dass sie nicht noch trockener ausgebaut wurden, wird mit der erwünschten geschmacklichen Nähe zur Basis-Linie Fürst von Metternich begründet. „Wir zeigen aber damit, was wir können“, hieß es zur Vorstellung der Premium-Sekte. Angaben zur Produktionsmenge gab es nicht.

In jedem Fall in deutlich höherer Auflage wird eine weitere Neuheit der Fürst-von-Metternich-Linie produziert werden: Erstmals gibt es einen Grauburgunder-Sekt der Geschmacksrichtung „trocken“, abgefüllt mit 17 Gramm Restzucker je Liter in einer grau lackierten Standardflasche, die für 9,99 Euro im Handel angeboten werden soll. Die Trauben stammen zum größten Teil aus der Pfalz und Rheinhessen, eine kleine Partie aber auch aus dem Rüdesheimer Bischofsberg.

Ein neues Weingut: Woii

Wer die „Rheingauer Weinwoche“ in Wiesbaden auf der Suche nach Neuheiten unter den fast 100 Weinständen durchstreift hat, der stieß auf Woii. Eine außergewöhnliche Neugründung, denn ihr liegt nicht das Motiv zugrunde, mit ordentlichem Wein gutes Geld zu verdienen. Zur Philosophie des Weinguts gehört es in erster Linie, jungen Studenten und angehenden Weinmachern der Hochschule Geisenheim die Chance zu geben, parallel zum Studium den ersten eigenen Wein nach eigenen Vorstellungen zu produzieren, abzufüllen, zu etikettieren und zu vermarkten.

Woii bietet eine Art Spielwiese, ein Reallabor vorwiegend für jene Studenten, die nicht aus einem Familienweingut stammen und deshalb regelmäßig mit der weinbaulichen Praxis konfrontiert sind. Sie sollen wertvolle Erfahrungen sammeln, um vielleicht selbst einmal ein Weingut übernehmen zu können.

Die Idee eines „studentisches Weinguts“ wurde an der Hochschule immer wieder diskutiert, um die praktische Ausbildung weiter zu stärken. Realisiert hat sie der promovierte Agrarwissenschaftler Maximilian Tafel mit einigen Mitstreitern. Weil die Übernahme eines bestehenden Weinguts mitsamt Technik und Ausstattung als die realistischere Option erschien als eine Neugründung auf der grünen Wiese, wandte sich das Team um Tafel an den Rüdesheimer Berater Erhard Heitlinger. Der vermittelt seit vielen Jahren Weingüter an Seiteneinsteiger und Investoren. Aktuell hat Heitlinger etliche Weingüter im Angebot, auch im Rheingau. Meist fehlt es in den Familienweingütern an Nachfolgern, die den Betrieb übernehmen wollen.

Ende 2023 hatte Heitlinger genau das im Angebot, was das Tafel als ideal erachtete: das Weingut Daniel. Unmittelbar am Geisenheimer Ortsrand und an einem Teil der gutseigenen 5,5 Hektar Weinberge gelegen. Ein nicht zu großes Weingut in großer Nähe zur Hochschule und ihren Studenten. Weingutsmakler Heitlinger fand nicht nur die Idee charmant. Über ihn kam auch ein Kontakt mit dem deutsch-amerikanischen Investor Klaus Lubbe zustande, der in ein junges Weingut investierten wollte, um diesem neue Perspektiven zu geben. „Der fand unsere Idee gut“, erinnert sich Tafel.

Lubbe erwarb das Weingut im Frühjahr vergangenen Jahres und verpachtete es an eine Betreibergesellschaft, deren Geschäftsführer Tafel ist. Seine Mitstreiterin Lara Pschorn ist als Außenbetriebsleiterin für die Pflege der Weinberg verantwortlich. Produziert wird der Wein in von vom Weingut Daniel angemieteten Räumen des ehemaligen Weinguts Heinrich Jung. Die Villa Daniel am Ortsrand wird für Woii-Veranstaltungen genutzt, die ehemaligen Wohnräume der Winzerfamilie werden als Ferienwohnungen mit schönem Blick auf Johannisberg vermietet.

Schon im ersten Jahr hatten sieben Studenten und kleine Teams die Chance, bei Woii ihren eigenen Wein herzustellen. Das Weingut stellt ihnen dazu die nötige Technik, vor allem Fässer und Tanks in Größen zwischen 225 und 1000 Liter zur Verfügung. Das Gros der Ernte nutzt Woii allerdings für eigene Produktion. Die Premierenauf der Rheingauer Weinwoche nutzt Tafel mit seinem Team, um den gerade erst bei einem Dienstleister in Winkel abgefüllt ersten Jahrgang vorzustellen: Einen fruchtigen Rosé, einen straffen Sauvignon blanc, zwei gehaltvolle Rieslinge aus den Lagen Kläuserweg, Mönchspfad und Rothenberg und einen cremigen Weißburgunder. Allesamt trocken. Ein Lagenwein „Geisenheimer Schlossgarten“ reift noch in der Flasche, ebenso ein Sekt. Die Umstellung auf ökologischen Weinbau ist im Gange, ein Wachstum auf bis zu 15 Hektar die Perspektive.

Vermarktet wird online, aber auch über die neue Vinothek in der Geisenheimer Ortsmitte, wo Woii auch seine Büros bezogen hat. Denn Woii wächst mit inzwischen zehn Mitarbeitern, und hat inzwischen zudem Veranstaltungssparte: Gepachtet wurde auch Schloss Schönborn in der Winkeler Straße in Geisenheim, das für Hochzeiten, Tagungen und Veranstaltungen aller Art gemietet werden kann.

Tafel beschreibt Woii als „Community-Weingut“, das charaktervolle Weine mit Ecken und Kanten erzeugen wolle und dabei auch ungewöhnliche Wege geht. Davon konnten sich auch die Besucher der Weinwoche überzeugen: Der eigens kreierte „Festwein“ kam aus der Zapfanlage.   

(aus der FAZ vom 2. August 2025)

Würzen wie der Bundespräsident

Anfang August geht es wieder los, und das mitten in der Nacht: Mit dem Vollernter wird Ferdinand Koegler seine Rebstöcke in der Weinlage Eltviller Taubenberg abfahren. Den Weinberg hat Koegler eigens für diese Produktion vorbereitet, und in der kühlen Nacht wird geerntet, um nur ja keine Gärung des Mostes auf dem Transportweg zu riskieren. Um Wein geht es bei dieser Ernte nicht, denn das Mostgewicht wird um diese Jahreszeit noch nicht einmal 40 Grad Oechsle erreicht haben, während die Säurewerte mit bis zu 25 Promille weit entfernt von einem Trinkgenuss sind.

Doch dieser säuerliche, alkoholfreie Saft unreifer Trauben wird immer gefragter. Nicht unter Weinliebhabern und Sommeliers, sondern von Küchenchefs und Barkeepern. Sie schätzen den veganen und histaminfreien Saft aus Riesling als elegante, milde, sehr aromatische Alternative zu frisch gepresstem Zitronensagt oder Essig und setzen ihn zum Würzen von Speisen ebenso ein wie zur Kreation von Drinks hinter dem Tresen.

Verjus ist ein Naturprodukt, dem außer Vitamin C – zum Schutz gegen Oxydation – keine Stoffe zugesetzt werden. Schonend filtriert und kalt-steril abgefüllt liegt die Haltbarkeit in der Flasche bei mindestens drei Jahren. Verjus, auch Agrest genannt, soll schon zu Hippokrates´ Zeiten als Würz- und Säuerungsmittel beliebt gewesen sein. Koegler nahm vor mehr als 20 Jahren einen Walliser Winzerkollegen zum Vorbild, der sich an Agrest aus der Rebsorte Muskateller versucht hatte. Der säurestarke Rheingauer Riesling schien Koegler noch besser für dieses ungewöhnliche Produkt geeignet. Als Koegler im Jahr 2004 mit den ersten 1000 Flaschen auf den Markt ging, waren seine Söhne Ludwig und Leopold noch nicht geboren.

Inzwischen sind es mehr als 30.000 Flaschen, die das Eltviller Weingut jährlich abfüllt, und Ludwig und Leopold, 21 und 20 Jahre alt, wollen der Erfolgsgeschichte neue Impulse und einen Schub geben. Im kommenden Jahr sollen es schon 50.000 Flaschen Verjus sein, die vorwiegend über Großhändler an die Gastronomie gehen. Auch die Küche des Bundespräsidialamtes bestellt im Weingut jährlich drei große Kisten.

Nach einem sukzessiven Wachstum beim Absatz brachte das Jahr 2019 den Durchbruch. Bei einem Barkeeper-Wettbewerb in Berlin bestand der Siegercocktail „El Rey“ eines bekannte Barkeepers lediglich aus fünf Anteilen Bacardi, zwei Anteilen  Zuckersirup und drei Anteilen Verjus. Und im vergangenen Jahr distanzierte ein Münchner Bartender bei einem internationalen Wettbewerb mit seiner Kreation aus Kräuterlikör, Gelbem Muskateller, Gebirgsenzian und Verjus die Konkurrenz. Bei einer Blindverkostung von 14 Verjus hatte das Produkt mit 469 von 500 möglichen Punkten die Nase vorn. Und beim diesjährigen Festival „Cocktail X“ in München war Koeglers Verjus „Produkt des Jahres.“

„Das spricht sich in der Szene rum“, weiß Ludwig Koegler, der mit seinem Bruder regelmäßig bekannte Bars abklappert und renommierte Barkeeper besucht, um das Produkt vorzustellen. Diese schätzen Verjus laut Leopold Koegler den Verjus vor allem wegen der Klarheit, die neben dem Aroma ein weiterer Vorteil gegenüber dem frisch gepressten und dann trüben Zitronensaft sei.     

Ludwig und Leopold wollen zum Jahresende eine eigene Vertriebsfirma gründen, um das Momentum beim Verjus zu nutzen. Ihre  Exportfühler reichen inzwischen nach Spanien und in die Niederlande. Ferdinand Koegler kann sich vorstellen, dass Verjus auch in Mix-Automaten eingesetzt werden könnte, die auf Knopfdruck Cocktails herstellen und schon wegen der Personalkosten und des Fachkräftemangels künftig zu erwarten seien.

Gut eingeschlagen auch ein erster, „weicher“ schmeckender Verjus-Rosé aus der Zweigelt-Traube, die Koegler ebenfalls schon lange anbaut. Der langfristige wirtschaftliche Erfolg hängt aber auch davon ab, ob es den beiden Brüdern Koegler gelingt, Verjus nicht nur als Basis für neue Kreationen mit Erfolg zu bewerben, sondern den Traubensaft für gängige Drinks einzusetzen. Wenn erst einmal einem Klassiker wie „Whisky Sour“ in den Hotelbars dieser Welt neben Whisky und Zucker auch Verjus statt Zitronensaft beigemixt würde, wären die Marktchancen immens. Mit zwei Drittel Wasser versetzt ist der Verjus ein alkoholfreier und erfrischender Drink für jeden Tag.

Verkauft wird Verjus zum Preis von aktuell zwölf Euro je (Wein-)Flasche,  der sich schon aus der geringen Erntemenge in den Weinbergen zu diesem frühen Stadium ergibt. „Wir wollen das Thema Verjus jetzt hochziehen“, sagen die Koegler-Brüder, und nebenbei das Thema Wein nicht vernachlässigen: Zwei alkoholfreie Varianten für ein gesundheitsbewusstes Publikum sind inzwischen als Durstlöscher schon im Koegler-Sortiment.

(aus der FAZ vom 30. Juli 2025)

Der Wein zum Bauernkrieg

Wie der Wein geschmeckt hat, denn die Bauern im Mai 1525 im Zuge der Plünderung von Kloster Eberbach aus dem Großen Fass getrunken haben, ist nicht überliefert. Dass sie das als Weltwunder gefeierte, 72.000 Liter fassende Weinfass beinahe zur Neige geleert und damit nachfolgend dem Verfall preisgegeben haben, ist in den Archiv allerdings akribisch festgehalten. Geschmacklich weitaus besser ist ohne Zweifel der Riesling, mit dem in Kloster Eberbach der kurzen, aber heftigen Episode des Bauernkrieg gedacht wird. Kurz, weil schon Mitte Juli der Aufstand niedergeworfen und die den Bauern gemachten Zugeständnisse widerrufen wurden.

Der Vorsitzende der Stiftung Kloster Eberbach, Julius Wagner, hat die Staatsweingüter ermuntert, zum Jubiläum „500 Jahre Bauernkrieg“ einen besonderen Wein in einer besonderen Flasche abzufüllen. Den hat die Chefönologin und stellvertretender Geschäftsführerin des Weingut, Kathrin Puff, in der Fraternei des Kloster vorgestellt. Ein stoffiger und dennoch eleganter Riesling, den Puff als „eigenständig und charaktervoll“ sowie ein wenig „eigensinnig“ beschrieb. Schließlich soll diese Cuvée aus besten Lagen des Klosters, zum Teil im Holzfass ausgebaut, der den damaligen Zeitgeist widerspiegeln. Geschmacklich dominieren Aromen von Steinobst, Pfirsich und Mango.

Der Nachteil: es gibt nur 500 Flaschen davon. Die Besonderheit: Sie tragen ein eigenwilliges Künstleretikett, für dessen Gestaltung der Rheingauer Künstler Michael Apitz gewonnen worden war. Apitz hat mit einer Rohrfeder und Sepia-Tusche im Erscheinungsbild eines Holzschnitts einen Bauern gemalt, der in der Fahne seine Forderung nach „Fryheit“ erhebt. Auch Eberbach, das Große Fass und ein Weinstock sind zu sehen. Basis war ein Motiv des Franziskaners Thomas Murner, das Apitz für seine Zeichnung aufgegriffen hat.

Müller folgt auf Greiner

Mit der Neuausrichtung der hessischen Staatsweingüter verbindet die Landesregierung ambitionierte Ziele. Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) formuliert den Anspruch, zu den Spitzenweingütern Europas zu zählen!!! Oha! Die Staatsweingüter sollten die Rolle eines Flaggschiffs und eines Leuchtturms ausfüllen. Als Marke „mit Strahlkraft“ solle sie dem gesamten Rheingau Impulse geben.

Das ist nun die Mission von Christine Müller. Am 1. Januar 2026 folgt sie als Geschäftsführerin auf Dieter Greiner, der die Staatsweingüter seit 2000 geführt hatte. Müller ist in der Region gut bekannt. Sie war lange Jahre in verschiedenen Funktionen für Schloss Vollrads tätig, ehe sie 2019 zur Rheingauer Volksbank wechselte und dort bis zur Prokuristin und Bereichsleiterin für gewerbliche Immobilienfinanzierung aufstieg. Parallel ließ sie sich an EBS Universität für Wirtschaft und Recht zur Immobilienökonomin mit Master-Abschluss ausbilden.

Müller ist auf dem ehemaligen Staatsweingut Hoflößnitz in Sachsen aufgewachsen, schloss eine Winzerausbildung in Weinsberg ab und studierte Weinbau in Geisenheim. „Wein ist meine Identität“, sagte Müller bei ihrer Vorstellung. Sie nehme ihre neue „Lebensaufgabe“ mit Vorfreude, Respekt und Demut an. Die Voraussetzungen, das vom Ministerpräsidenten formulierte Ziel zu erreichen, hält sie angesichts der herausragenden Weinlagen, der modernen Kellerei, dem motivierten Team und der Rebsortenstruktur für gegeben. Bis zur Weltspitze werde es allerdings zehn Jahre dauern.

Rhein und Weinbauminister Ingmar Jung (CDU) nannten Müller eine „Idealbesetzung“. Sie verbinde ein handwerkliches Fundament mit einem akademischen Überbau und strategischem Gespür, sagte Rhein. Der Ministerpräsident gab zu, dass hinter dem Staatsweingut keine leichten Jahre liegen: „Wir wollen das nicht allzu schön reden.“ Der Kostendruck sei enorm, die Zurückhaltung der Konsumenten und der Klimawandel hinterließen Spuren.

Müller könne sich aber auf seine Rückendeckung verlassen, sagte Rhein als Antwort auf Frage nach der Bereitschaft zur Auflösung von Investitionsstaus im Weingut und zur Senkung der Personalkostenquote. Entscheidungen würden nach einer sehr sorgfältigen Bestandsaufnahme fallen. Rhein sagte, er empfinde eine „starke Verantwortung“ für das Schicksal des Staatsweingutes. Die Landesregierung lässt sich von einem Beirat aus sechs Mitgliedern beraten, dem der rheinhessische Winzer und Weingutsbesitzer Dirk Würtz vorsteht. In das Gremium, dem bislang auch Müller angehört, wurden zudem die Nahe-Winzerin Caroline Diehl und ihre Rheingauer Berufskollegin Theresa Breuer berufen. Teil der der Neuausrichtung ist ein engeres Zusammenrücken zwischen Staatsweingut und Kloster Eberbach. Rhein sagte, man wolle unter einer gemeinsamen Dachmarke zu einer „historischen Einheit“ zurückkehren. Rhein dankte zudem dem bisherigen Geschäftsführer Greiner, der in 25 Jahren die Staatsweingüter „auf besondere Weise geprägt“ habe. Dem Vernehmen nach muss über die Auflösung des bis 2027 laufenden Vertrags für Greiner noch Einigung erzielt werden.

Paukenschlag: Greiner geht

Mit diesem schnellen Abgang war nicht zu rechnen: Dass Dieter Greiner nach 25 Jahren an der Spitze der Staatsweingüter von heute auf morgen sein Büro im Kloster Eberbach geräumt hat, ist eine faustdicke Überraschung. Allerdings war nach den jüngsten Ankündigungen von Weinbauminister Ingmar Jung (CDU) mit Blick auf notwendige einschneidende Maßnahmen beim Staatsweingut nicht mehr damit zu rechnen, dass Greiner noch weitere 18 Monate auf seinem Posten würde bleiben können. Greiner hat erkannt, dass ein schneller Schlussstrich das Gebot der Stunde ist.

Die dringend notwendige Neuordnung der im vergangenen Jahr abermals stark defizitären Staatsweingüter bedarf eines neuen Geschäftsführers, weil nur er den Aufbruch glaubwürdig vertreten kann. Nun blickt der Rheingau mit Spannung auf die Personalfindung des Ministeriums. Dass ein Beirat aus Fachleuten gebildet wurde, um das Ministerium auch dabei zu beraten ist sinnvoll. Denn dem Aufsichtsrat gehören bis auf wenige Ausnahmen Laien an. Wäre das Kontrollgremium mit Fachleuten besetzt gewesen, dann wäre die Notbremse vielleicht schon viel früher gezogen worden. Allerdings darf sich niemand der Illusion hingeben, dass das landeseigene Weingut frei von politischer Einflussnahme sein wird. Politische Rücksichtnahmen wird es auch weiterhin geben. Ob das von Jung ausgegebene Ziel erreichbar ist, das Staatsweingut zu einem Qualitätsführer und Flaggschiff zu entwickeln, darf durchaus bezweifelt werden. Ein neuer Geschäftsführer wird zeigen müssen, dass er aus allerbesten Weinbergslagen und einer modernen Kellerei auch in der Breite Spitzenweine zu erzeugen vermag, die entsprechende Anerkennung finden. Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage könnte dies der letzte Versuch des Landes sein, das Erbe der Zisterzienser, Nassauer und Preußen überzeugend fortzuführen. Wenn eines staatliches Weingut nicht mit hoher Qualität am Markt zu bestehen vermag, dann verliert es auch seine Berechtigung. Billig können andere besser !

(Mein Kommentar aus der FAZ vom 12. Juni 2025)

Zäsur bei den Staatsweingütern

Es war ein Paukenschlag, der im Rheingau hohe Wellen schlagen wird: Am 11. Juni war überraschend der letzte Arbeitstag von Dieter Greiner, dem langjährigen Geschäftsführer der Hessischen Staatsweingüter Kloster Eberbach. Greiner, der das landeseigene Weingut seit dem Jahr 2000 geführt hatte, hätte noch einen Vertrag bis Ende 2027 gehabt. Nun wird der Vertrag aufgelöst.

Dem Vernehmen nach wollte Greiner der von Landwirtschaftsminister Ingmar Jung (CDU) initiierten Neuordnung der Staatsweingüter aber nicht im Wege stehen. Übergangsweise übernimmt Marc Gorbauch die Verantwortung für Deutschlands größtes Weinguts. Gorbach hat erst seit wenigen Wochen im Landwirtschaftsministerium eine Stabsstelle für die Koordination von Weingut und Kloster Eberbach angetreten. Jungs Wunsch ist es, dass Gorbauch dorthin möglichst schnell zurückkehrt. Noch in diesem Monat will Jung einen Nachfolger für Greiner vorstellen, der spätestens zum Jahresbeginn 2026 seinen Dienst antreten soll. Es gibt offenbar Gespräche mit einer Reihe qualifizierter Bewerber. In jedem Fall soll der neue Geschäftsführer im Herbst schon Einfluss auf die Ernte-Entscheidungen und damit das künftige Sortiment des Weinguts nehmen. Ein Sortiment, das nach dem Wunsch von Minister Jung radikal zusammengestrichen werden soll.

Denn das Landesweingut steht finanziell unter Druck. Im Beteiligungsbericht wird seit 2020 jährlich ein Defizit oder eine schwarze Null ausgewiesen. 2022 lag das negative Jahresergebnis bis rund 1,4 Millionen Euro, im vergangenen Jahr bei fast einer Million Euro. Dabei verfügt das landeseigene Weingut über herausragende Weinbergslagen und eine hochmoderne Kellerei am Steinberg.

Minister Jung will, dass der neue Geschäftsführer dem Staatsweingut eine neue Richtung gibt. Statt eines Gemischtwarenladens solle das Weingut zu einem Flaggschiff für die Region entwickelt werden. Jung wünscht sich angesichts der außergewöhnlich vielen Spitzenlagen das Streben nach Qualitätsführerschaft. Das Staatsweingut müsse sich als Imageträger bewähren und den Rheingau insgesamt ins Premiumsegment mitziehen. Das Ministerium lässt sich bei der Neuaufstellung von einem Beirat unterstützen, der bis zu sieben Mitglieder umfassen soll. Vorsitzender ist der Önologe Dirk Würtz, der im Rheingau als langjähriger Betriebsleiter des Hattenheimer Weinguts Balthasar Ress kein Unbekannter ist. Würtz hat inzwischen als Miteigentümer die Verantwortung für das Weingut St. Antony an der Rheinfront in Rheinhessen.

Nicht weiterverfolgt wird die angedachte Fusion zwischen der Stiftung Kloster Eberbach und den Staatsweingütern. Eine intensive Prüfung hat ergeben, dass es wenige Vorteile, aber rechtliche und steuerliche Nachteile oder Risiken gibt. Statt einer Fusion will sich das Land mit einer „Personalverschränkung“ behelfen. Mittelfristig sollen zudem Doppelstrukturen von Stiftung und Weingut entfallen, etwa wenn es um Verwaltung, Personal, Marketing und Vertrieb geht.  Beide Institutionen sollen zudem einen Kooperationsvertrag schließen. Und weil über beiden inzwischen ein und dasselbe Ministerium als Kontrollinstanz steht, ist Minister Jung zuversichtlich, dass Reibungsverluste weitgehend vermieden werden können.   (mein gekürzter Bericht aus der FAZ vom 12. Juni 2025)