Riesling, eingedost…

habe ich meinen Artikel in der FAZ vom 3. September über ein Treburer Startup übschrieben…

Was bei der Abfüllung von Bier und Mineralwasser seit Jahrzehnten geübte Praxis ist, scheint für Wein noch immer undenkbar: ein Mehrwegsystem mit Pfandflaschen. Dabei ist die Einweg-Glasflasche unter Nachhaltigkeitsaspekten für die Winzer eine große Bürde, denn sie steht für knapp die Hälfte des CO2-Fußabdrucks eines Weinguts. Zwar versuchen inzwischen einige Weingüter, ihre Stammkunden zur Rückgabe des Altglases zu bewegen, um diese anschließend spülen zu lassen. Andere setzen auf Leichtglasflaschen oder testen die Akzeptanz von Bier-Mehrwegflaschen für Wein. Ein Durchbruch scheint aber in Deutschland noch nicht in Sicht. Und Wein im Tetrapak-Karton genießt hierzulande keinen guten Ruf.

Ein Ehepaar aus dem südhessischen Trebur versucht jetzt mit einer anderen, den Verbrauchern gut vertrauten Verpackung Bewegung in die der Tradition verhaftete Branche zu bringen: Wein in Dosen. Lisa und Thomas Quandt haben die Dose für Riesling und andere Sorten gewissermaßen neu entdeckt: schlank, hoch, ansprechend bedruckt und – vor allem – nicht mit Weinen von der Resterampe einer Kellerei, sondern mit Qualitätstropfen ambitionierter Erzeuger befüllt.

Die familiären Beziehungen zum renommierten Pfälzer Weingut Motzenbäcker und zur Winzerin Marie Menger-Krug erleichterten es, der Idee einen Testlauf folgen zu lassen. Mit Rosé, Sauvignon blanc und einem Riesling aus dem in Deidesheim beheimateten Ökoweingut ging es los. Was aber sagen die Kunden? Immerhin müssen sie rund 4,50 Euro je Dose auf den Tisch legen, was sich bei drei Dosen in etwa zum Flaschenpreis ab Weingut summieren würde. Die Kunden müssten langsam an das Produkt herangeführt werden, gibt das Ehepaar Quandt zu. Ob die Mehrzahl der Käufer den Wein direkt aus der Dose trinkt oder ihn in ein Glas umfüllt, können die beiden Geschäftsleute bisher nur vermuten. Sie gehen aber von erster Variante aus, was dem Weinkenner ein neues Vorgehen beim Kosten abverlangt. Denn riechen lassen sich die Weinaromen aus der Dose nur schwer. „Bei der Dose ist es umgekehrt wie mit dem Glas“, sagt Quandt: Erst ist der Gaumen dran, danach folgt die Nase.

Die Zielgruppe der jungen Weingenießer, die vor allem an unkompliziertem Genuss Interesse haben, dürfte das nicht stören. Bei der Nachhaltigkeit ist die Dose der schweren Glasflasche jedenfalls voraus. Zumal das Ehepaar Quandt geschafft hat, was viele Weingüter bislang scheuen: die aufwendige und langwierige Zulassung für das deutsche Pfandsystem. Die etwa zwölf Gramm leichten Dosen können somit zusammen mit den Bier- und Wasserflaschen am Rückgabeautomaten im Supermarkt entsorgt werden – gegen 25 Cent Rückvergütung je Dose.

Das Sortiment umfasst inzwischen neben Riesling, Rosé und Sauvignon blanc auch einen Weiß- und einen Grauburgunder sowie die deutsche Traditionssorte Scheurebe. Hinzu kommt eine Weinschorle mit einem Riesling des Eltviller Weinguts Blumensatt. Anlässlich des Fanfestes zum Pokalfinale zwischen dem 1. FC Kaiserslautern und Bayer Leverkusen gab es 12.000 Dosen einer Sonderedition Schorle in Kooperation mit dem Pfälzer Weingut Tina Pfaffmann. Und zum Münchner Oktoberfest gibt es eine weitere Sonderedition.

Der Wein in den recycelbaren Dosen sei einfach zu transportieren, bruchsicher, leicht und damit geeignet für alle Outdoor-Aktivitäten und geselligen Veranstaltungen wie Picknicks, Grill- oder Poolpartys und auch bei Konzerten, lauten die wichtigsten Argumente.

Punkten könnten die Dosen auch überall dort, wo Gewicht und Größe von Bedeutung sind wie in Flugzeugen oder in der Bahn, aber auch in der Minibar von Hotels. Die Umweltbelastung sei geringer als bei Glas, die Portionsgröße bei vielen Gelegenheiten „perfekt“. Die Hoffnung ist, dass Wein in Dosen absehbar so selbstverständlich wird wie Schraubverschlüsse statt Korken auf Weinflaschen. Auch für alkoholfreie Weine sehen sie eine gute Chance in der Dose. Mit dem Rheingauer Weingut Leitz gibt es dazu jetzt eine enge Kooperation: Der Sparkling Rosé „Eins-Zwei-Zero“ ist schon eingedost. (leicht gekürzte Fassung meines FAZ-Textes)

Die 23 bei Jakob Jung, Erbach

die Spitzen des Jahrgangs reifen bei Jung in Erbach noch, aber die solide Basis bestätigt alle meine hohen Erwartungen an den Jahrgang 2023. Bei Jakob Jung überzeugt auf Anhieb der trockene Erbacher Ortswein, der unglaublich viel Wein für unglaublich wenig Geld ist. Der vdp-Gutswein hingegen ist eine echte Fruchtbombe, bei der diesmal Ananas dominiert und der eine schöne Visitenkarte und der perfekte Einstieg ins Sortiment ist. Deutlich ernsthafter die „Alten Reben“, die viel Terroir ins Glas zaubern und einen schönen, langen Nachhall kreieren. Bei der Weißburgunder & Chardonnay-Cuvée dominiert für mich zu sehr der Weißburgunder. Ein wenig trauere ich noch immer dem reinen Chardonnay nach, den es vor vielen Jahren noch gab. Diese Art von W&C Cuvée sehe ich im Übrigen immer öfter in Sortimenten von Weingütern. Sie kann einen guten Chardonnay pur aber nicht gefährden. Bei den Großen Gewächsen bestätigt sich, dass der Jahrgang 2021 der charmantere ist, mit vibrierender Säure und einem schönen Spannungsbogen, der mehr verspricht als 2022, sowohl jetzt als auch auf die lange Distanz. 2021 Siegelsberg wäre in jedem Fall ein empfehlenswerter Kauf! Auf die 2023er GGs sind wir schon jetzt gespannt…

Wegelers Große Gewächse

Doosberg, Jesuitengarten, Morschberg, Rothenberg, Schlossberg – das sind die fünf Großen Gewäche des Jahrgang 2020 der Weingüter Wegeler im Rheingau, und sie sind im Glas so unterschiedlich wie die Böden und die klimatischen Verhältnisse. Wegen seiner wunderbaren Balance, der Eleganz, der feinen Frucht und perfekt integrierten Säure hat der Rothenberg auf meinem Gaumen die Nase vor, knapp vor dem majestätischen Schlossberg und dem zupackenden Morschberg. Nebenbei: das 2014er Rothenberg GG zeigt, warum diese Weine ein paar Jahre liegen sollten: ein Wow!-Wein

Von der Mosel stellte der 2022 Doctor GG erwartungsgemäß Lay und Graben deutlich in den Schatten. Ich habe für den Doctor in diesem Status 94 Punkte notiert, doch könnten im Lauf der Reife noch 1-2 Punkte hinzukommen.

Schon jetzt über der 95 Punkte-Marke liegt der 2020 Höllenberg Spätburgunder Großes Gewächs. Ein Monument, mit 49 Euro ein Schnäppchen und daher eine unbedingte Kaufempfehlung!

Dankbar bin ich Wegeler, dass hier so häufig Geheimrat J-Vertikalen möglich. Diesmal wurden neun Jahrgänge gezeigt, die drei ältesten (1992, 1988, 2000) aus der Doppelmagnum. Fazit: Aktuell sind 1992 und 2017 sowie 2011 ganz groß, während 2016 ein bisserl durchhängt. Wie sich 2021 und 2022 entwickeln (ich sehe 21 klar vor 22), muss ich erst noch zeigen…. Für 2021 bin ich bester Hoffnung!   

Aus meinem Verkostungstagebuch

… wie gewohnt kurze Notizen über das, was zuletzt im Glas und bemerkenswert war… wie z.B.

Armin Polz, Kiefer

2020 Sauvignon blanc Unlimited

ein expressiver Sauvignon aus der Südsteiermark, kein Leisetreter, sondern ein aromenstarker Lautsprecher, der nach einem rustikalen Vesper verlangt. Dann perfekt!

Gross, Südsteiermark

2021 Sauvignon blanc Ehrenhausen

sehr fein, elegant, ein Sauvignon wie ich ihn mag. Nicht zu laut, eher kühl und immer nach dem nächste Schluck verlangend.

Arunda Sektkellerei, Mölten

Arunda Extra brut – ich liebe diese Sekte aus Südtirol. Viel Grip am Gaumen, guter Nachhall, feine Perlage, lecker

Weingut Grimm, Geisenheim

2023 Rüdesheimer Riesling & 2023 Riesling Alte Reben trocken

noch unter dem Radar, aber sicher nicht mehr lange. Zwei sehr gute Riesling mit gutem Trinkfluss, fein balanciert, mehr davon!

Weingut Schwedhelm, Zellertal

2021 Kreuzberg Riesling & 2021 Schwarzer Hergott

da kommt Freude auf: zwei blitzsaubere Riesling aus jener Ecke der Pfalz, die viel zu wenig beachtet wird. Dabei ist der Schwarze Hergott wirklich eine Toplage, aus der superfeine Wein gekeltert werden können

Dr. Heger, Ihringen

2020 Ihringer Winklerberg Chardonnay

Nein, nicht das „Große Gewächs“, aber ein ganz großes Gewächs: Superelegant, kein Gramm zuviel auf der Hüfte, so muss deutscher Chardonnay schmecken!

Robert Weil, Kiedrich

2021 Klosterberg Riesling trocken

langsam macht der Klosterberg immer mehr Spaß und zeigt seinen eigenständigen Charakter unter den 3 Kiedricher Berglagen. Aber immer typisch Weil: kühl, salzig, auf der eleganten Seite, Trinkfluss enorm

Wo sind die Weinpatrioten?

… so habe ich meinen FAZ-Kommentar zur Vorpremiere Großes Gewächs 2024 des VDP in den Wiesbadener Kurkolonnaden überschrieben. An der Güte des Weines liegt es jedenfalls nicht, dass zu wenig deutscher Wein getrunken wird.

Ich habe mich eingereiht unter die rund 200 Weinprofis aus 25 Ländern – darunter Gastronomen, Händler, Journalisten und Sommeliers –, die an drei Tagen insgesamt 462 Große Gewächse in 82 Flights verkosten. Insgesamt wurden laut VDP in diesem Jahr sogar 561 Große Gewächse aus 312 Weinbergen geprüft und zugelassen, aber nicht alle wurden jetzt präsentiert.

Gerade beim Riesling zeigt sich, dass 2023 außergewöhnlich gute Weine mit feiner Frucht, Tiefe und Eleganz hervorgebracht hat. Laut VDP wird 2023 als „bemerkenswert guter Jahrgang“ in die Weingeschichte eingehen, und das sehe ich nicht anders. Und  2022 stellt sich als phänomenales Jahr für deutschen Rotwein heraus, wie die Verkostung der Spätburgunder renommierter Erzeuger bestätigte.

Ich selbst habe mich diesmal auf die weißen Nicht-Rieslinge konzentriert:

Chardonnay: Insgesamt ein Dutzend feine Exemplare aus Baden, mit klaren Favoriten für mich. Seegers 2023 Herrenberg Lange Wingert steht für mich herausragend gut da, ebenso 2022 Dr. Hegers Winklerberg Hinter Winklen und nicht minder gut die 2022er Pagode von Stigler. Sehr geschliffen und würzig begeisterte mich überdies Franz Kellers 2022 Kirchberg. Winzer, pflanzt mehr Chardonnay, das gefällt mir saugut.

Grauburgunder: Eigentlich mag ich die Rebsorte nur mäßig, und wie sich diesmal wieder zeigte: „wenn überhaupt, dann nur vom Kaiserstuhl! Sehr straff und fein Hegers Schlossberg, daneben auf Augenhöhe die Bassgeige Kähner, beide 2022, von Franz Keller. Toll auch Salweys Henkenberg, das lässt sich trinken… und auch 2023 Herrenberg Oberklam von Seeger.

Weißburgunder: Durchweg besser für mich als fast alle Grauburgunder! Überraschend gut für mich der 2023 Schlossberg von Neipperg, und auf gewohnt gutem Niveau der 2023 Edelacker von Pawis, ganz knapp hinter 2022 Schloss Proschwitz. In der Pfalz hatten Siegrist und Jülg – beide mit einem fantastischen Sonnenberg – die Nase für mich vorn, wobei Knipsers 2023 Kirschgarten den Charme der Jugend auf seiner Seite hatte. Unerwartet betört wurde ich von einem 2023 Oberer First von Schlör aus Baden (neu entdeckt für mich), der mit ebenso gut gefiel wie Salweys Kirchberg und Seegers Oberklam. Mit dabei ganz vorne aber auch Dr. Hegers Winklerberg Hinter Winklen.

Silvaner: knapp 20 Exemplare aus Franken verkostet und ich gebe zu: die Guten haben mich mehr begeistert als fast alle Weißburgunder!  Ganz vorne mit dabei Horst und Rainer Sauer sowie das Weingut Schwane, jeweils mit ihrem „Am Lumpen 1655“. Sehr, sehr gut auch Hans Wirsching und Rudolf May, und für mich immer eine Silvaner-Bank: Ludwig Knolls 2022 „Am Stein“.

Riesling-Tankstellen

Die Weinprobierstände im Rheingau sind nicht nur ein lukrativer Absatzkanal. Sie befördern auch den Weintourismus und sind ein sozialer Treffpunkt für alle Generationen.

„Wein ist der gute Geist der Geselligkeit. Er weckt die Lebensgeister, macht den Sorgenvollen optimistisch, den Mürrischen heiter, den Reichen zugänglich und den Introvertierten gesprächig.“

Ein Zitat, das zwar keinen namentlich bekannten Verfasser hat, aber die alltäglichen Erfahrungen an den Weinprobierständen des Rheingaus gut zusammenfasst. Gäbe es sie nicht schon seit mehr als fünf Jahrzehnten, sie müssten nach Überzeugung der Winzer dringend erfunden werden. Denn die Weinstände gestatten nicht nur eine unkomplizierte Annäherung an das vermeintlich komplizierte Naturprodukt Wein, sondern haben vielfältige Funktionen. Sie sind ein Pfund in der weintouristischen Strategie des Rheingaus. Sie sind ein niedrigschwelliger Absatzkanal, und sie sind für viele Winzer von beachtlicher ökonomischer Bedeutung. Vor allem aber sind sie ein sozialer Treffpunkt für alle Generationen.

Davon schwärmt auch Uwe Rußler. Der umtriebige Winzer, der in Rauenthal eine sehr gut frequentierte Gutsschänke besitzt, betreibt mit jeweils anderen Winzerkollegen gleich zwei Weinprobierstände. Jenen am Rauenthaler Ortsrand, der eine schöne Aussicht ins Rheintal gewährt, und jenen am Biebricher Rheinufer. Die Unterschiede könnten nicht nur wegen der Lage kaum größer sein. Der Rauenthaler Stand ist vor allem ein Treffpunkt der Einheimischen zum Plausch und am Wochenende bei schönem Wetter eine beliebte Raststation für die vielen Ausflügler nahe dem Aussichtspunkt Bubenhäuser Höhe.

In Biebrich hingegen, dem einwohnerstärksten Stadtteil der Landeshauptstadt Wiesbaden, ist der Weinstand seit gut zwölf Jahren integraler Bestandteil der örtlichen Gastronomie. Er zählt laut Rußler viele Stammgäste, von denen einige fast täglich auf ein Glas vorbeischauen. Das „Antrinken“ im Frühjahr und das „Abtrinken“ im Herbst sind Veranstaltungen mit Kultstatus, bei denen auch die lokale Politprominenz in großer Zahl mit Riesling anstößt. „Sehen und gesehen werden“ ist dann das Motto. Sieben Rheingauer Winzer wechseln sich in Biebrich im Wochenrhythmus bei der Bewirtung ab. Ein höchst lukratives Geschäft, gibt Rußler zu. Eine Woche im Weinstand kann bei gutem Wetter mehr Umsatz bringen als manches gut laufende Weinfest, obwohl sich die Besucher ihre Speisen selbst mitbringen müssen – und dürfen.

Anders als in Rauenthal lassen sich in Biebrich die Stammgäste auch von ein paar Regentropfen nicht abschrecken. Aus der Nähe zum Winzer am Weinstand und wachsender Verbundenheit entstehen Bekannt-und Freundschaften, aber auch enge Kundenbeziehungen. Das bestätigt der Kiedricher Bürgermeister und Winzer Winfried Steinmacher, der in Biebrich ebenso ausschenkt wie am kürzlich mit europäischen Fördermitteln aufgehübschten Weinstand in Kiedrich. Ungezwungen nach einem Spaziergang ein Glas Wein zu trinken und Bekannte zu treffen, das hält Steinmacher aus Kundensicht für die größten Stärken der Weinstände. Und wenn Kinder dort ungezwungen spielen können, nimmt die Attraktivität für Familien noch einmal zu.

Es waren die treuen Privatkunden, die vielen Erzeugern über die Absatzkrise hinweggeholfen haben, als Restaurants zugesperrt, Weinfeste abgesagt und Exportmärkte verschlossen waren. Sobald die Weinstände an der frischen Luft wieder öffnen durften, waren sie besonders umlagert, erinnert sich Steinmacher. Kein Wunder also, dass die sieben am Biebricher Weinstand beteiligten Winzer derzeit keine weiteren Kollegen aufnehmen wollen, um den Erfolg zu teilen. „Die Tür ist zu“, bestätigt Rußler. Ein Fingerzeig darauf, wie gut das Geschäft läuft, ist die sechsstellige Summe, die die Winzer kürzlich in einen Neubau des Weinprobierstands investiert haben, mit finanzieller Unterstützung der Wirtschaftsförderung der Stadt Wiesbaden. Denn im Rathaus ist die Bedeutung der Weinprobierstände wohlbekannt. Andere Wiesbadener Stadtteile haben inzwischen nachgezogen mit Weinprobierständen, die von Vereinen betrieben werden und die dazu Winzer einladen.

Insgesamt gibt es mehr als zwei Dutzend Weinprobierstände im gesamten Rheingau. Die meisten liegen aufgereiht wie eine Perlenschnur entlang des Leinpfads am Rheinufer, einige aber auch in den Höhenstadtteilen wie Rauenthal, Johannisberg und Hallgarten. Bei den Auswärtigen besonders beliebt ist der Stand am Eltviller Rheinufer, weil er sich in die Flaniermeile am Ufer einfügt und sich jeder Abstecher gut mit einem Besuch der Eltviller Burg nebst Rosengarten und der hübschen Altstadt verbinden lässt. Bisweilen ist der Andrang so groß, dass Einheimische lieber ins ruhigere Kiedrich ausweichen, sagt Steinmacher.

Sehr beliebt ist auch der Wallufer Weinprobierstand neben dem Segelhafen, der in einem 16.000 Liter fassenden Holzfass untergebracht ist. Er hat durch die Umgestaltung des Rheinufers noch einmal an Attraktivität gewonnen. Hier stoppen zwischen Ostern und dem Beginn der Weinlese viele Radfahrer auf der Route zwischen Schiersteiner Hafen und Eltville. Seine Beliebtheit reicht aber nicht bis an die Hattenheimer „Fässer“ an den Rheinwiesen heran, die seit fast 50 Jahren ein Treffpunkt sind. Nur eine große Wiese trennt die Zecher hier vom Rheinufer.

Jeder Weinprobierstand hat sein eigenes Profil, seine eigenen Regeln – die hin und wieder intern auch für Ärger unter den Winzern sorgen – und sein eigenes Stammpublikum. Das informiert sich meist vorher, welcher Winzer gerade den Stand hat, ob dessen Weinsortiment den eigenen Vorlieben entspricht. Der Weinbauverband gibt jedes Jahr eigens einen Faltplan heraus, in dem alle Winzer mit ihren jeweiligen Präsenzzeiten an allen zwei Dutzend Ständen verzeichnet sind.

Verbandsgeschäftsführer Dominik Russler sieht in den Probierständen „äußerst wichtige Institutionen und Treffpunkte für einen eher unverbindlichen Weingenuss in netter und entspannter Atmosphäre“. Wichtig seien sie nicht nur für Touristen, sondern auch für Einheimische. Eine so große Dichte wie im Rheingau gebe es kaum in anderen Weinanbaugebieten. Dass sie „wirtschaftlich äußerst erfolgreich sein können“, zeigten Weinstände auch abseits der Weinberge wie in Biebrich. Den Winzern böten sie eine gute Plattform, sich Bestands- und Neukunden zu präsentieren, das 0,1-Liter-Standardglas lade zum Probieren ein.

Laut Russler berichten die Winzer allerdings von einer leichten Konsumzurückhaltung im Vergleich zu den Vorjahren, was auch der Kiedricher Steinmacher bestätigt. Der Andrang während der Pandemie sei wieder abgeebbt. Das Geld sitze nicht mehr so locker. Der Verzicht gehe einher mit dem sinkenden Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland, der auch in der Gastronomie bemerkbar sei, meint Russler. Weinprobierstände haben gleichwohl Zukunft, und auch außerhalb des Rheingaus werden immer wieder neue eröffnet. Ein weiterer Trend: Alkoholfreie Weine und Sekte gehören an den meisten Weinständen zum Standardsortiment. Eine Traubensaftschorle allein genügt nicht mehr, bestätigt Winzer Uwe Rußler, der jedes Jahr schon einige Tausend Liter alkoholfreien Wein verkauft.

Nach Einschätzung des Weinbauverbands sind die Weinprobierstände zu einer „sozialen Institution“ geworden. Ein Treffpunkt wie einst der dörfliche Marktplatz, der wegen der attraktiven Lage am Rhein oder wegen der beschaulichen Ruhe der Höhengemeinden auch bei Familien mit Kindern sehr beliebt sei. Jede Winzergemeinschaft müsse mit Blick auf ihre Zielgruppen den eigenen Stand ausrichten und profilieren. Dann werde er auch erfolgreich sein. (mein Text aus dem FAZ Metropol-Magazin vom August 2024)

Finger weg vom Sommerwein!

Spätestens mit jedem Ende der Spargelsaison bewirbt die Weinwelt  „Sommerweine“ mit bunten Etiketten und phantasievollen Namen. Dabei weiß niemand so recht, was ein Sommerwein eigentlich sein soll. Etwa ein halbtrockener Rosé oder ein Müller-Thurgau unter dem trendigeren Synonym Rivaner? Vielleicht ein spritziger Pinot Grigio oder doch ein junger und fruchtbetonter Riesling? Sind alle anderen Weine dann Winterweine? Viele Erzeuger launiger Sommerweine versprechen in den warmen Monaten ein spritzig-leichtes Fruchterlebnis bei moderatem Alkohol. Einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen diese Weine am Gaumen aber nur selten. Ich halte wenig von diesen bisweilen dünnen, nicht selten belanglosen und häufig wenig haltbaren Tropfen. Schnell getrunken, schnell vergessen. Also Finger weg vom Sommerwein! Denn warum sollen die schönsten Wochen des Jahres keine Zeit für ernsthafte, spannende Weine mit Anspruch sein? Auch ein lauer Sommerabend verdient ein grandioses Weinerlebnis. Guter Riesling ist unter den Rebsorten ohnehin eine Allzweckwaffe. Auch komplexe Weine mit Anspruch bereiten in diesen Wochen am Grill und auf der Terrasse viel Freude – und sie sorgen für viel Gesprächsstoff unter freiem Himmel. Für die FAZ-Sonntagszeitung (18.08.2014) habe ich vier Beispiele jenseits des Mainstreams aus Hochheim, Johannisberg, Hallgarten, Martinsthal ausgewählt, die mehr als nur ein flüchtiges Weinerlebnis versprechen.

Riesling aus dem „Ei“

Da griff sogar Cem Özdemir zu. Als Bundeslandwirtschaftsminister zu Gast im Hochheimer Weingut Weinegg war, überzeugte ihn unter anderem dieser außergewöhnliche Riesling der Hochheimer Winzers Fabian Schmidt – nicht nur wegen der 2023 erteilten Öko-Zertifizierung des Demeter-Weinguts. Dieser Riesling reift nicht im Edelstahltank und auch nicht im großen oder kleinen Holzfass, sondern erhält seinen Feinschliff im 800 Liter fassenden Granit-Ei. Solche Behälter sind nicht neu, aber in vielen Weinkellern noch immer außergewöhnlich und zudem sehr teuer. Sie verleihen den Weinen eine ausgeprägte mineralische Note und einem kernigen Charakter. Ein Wein mit Grip am Gaumen, der viel Trinkfluss entfaltet. Bemerkenswert sind die kühlen, salzigen Noten, dazu Aromen von reifer Ananas und Zitrusfrüchten. Ein eleganter Wein mit prägnanter Säure, und auf der Zunge scheint selbst der Stein wohltuend schmeckbar. Der im September 2022 von Hand geerntete und vegane Wein wurde „ungeschönt“, also ohne Entfernung der Trubstoffe, abgefüllt. Leider gibt es kaum mehr als 1000 Flaschen von diesem außergewöhnlichen Wein, aber noch sind welche verfügbar. Unter Tipp: Nicht lange fackeln, zugreifen.  Weingut im Weinegg, Hochheim: 2022 Hochheimer Riesling Stone Egg trocken (18,50)

Zart vom Holz geküsst

Schon die Optik dieser Glasflasche macht neugierig und kündigt einen außergewöhnlichen Auftritt an: Ein Rheingauer Riesling in der Burgunderflasche? Ja, das ist stimmig, wenn die immer noch fas 80 Prozent der Rebfläche prägende Leitsorte des Rheingaus ausnahmsweise von jungen Eichenholz geküsst wurde und vom Charakter dadurch eine ungewöhnliche Wandlung erfahren hat. Die höchst engagierte Weinmacherin Julia Seyffardt, die Tochter des Rheingauer Weinbaupräsidenten Peter Seyffardt, spricht selbst von einem „burgundisch-cremigen Riesling“ mit zartem Schmelz und leicht buttrigen Aromen. Die Noten von Karamell und reifem Apfel sind nicht gerade typisch für den Rheingauer Riesling, aber sie machen diesen Wein gerade deshalb so interessant. Das „Wilde Holz“ reift einige Monate in kleinen Eichenholzfässern, ehe es seine Balance zwischen Würze und Frucht findet. Danach ist das „Wilde Holz“ ein ausgezeichneter Essensbegleiter zu all jenen Speisen, mit denen beispielsweise auch ein Weißburgunder oder Chardonnay harmonieren würde. Wer die Zeit hat, lagere den Wein noch ein wenig im Keller, denn dann entfaltet er sein Potential noch besser. Weingut Diefenhardt, Martinsthal. 2023 Riesling „Wildes Holz“ trocken (13,90)

Romantiker aus Hallgarten

Ausschließlich handgelesene Trauben aus der höchsten und steilsten Lage des Weinguts Bibo-Runge, dem Hallgartener Hendelberg, werden für diesen Wein verwendet. Sie werden in einer französischen Korbpresse sanft gepresst, ehe der Most rund ein Jahr im großen Eichenfass spontan vergoren wird und dort reift. Markus Bonsels und seine Frau Monika Eichner führen das Weingut erst seit 2017, doch die Quereinsteiger haben sich mit ihrer Qualitätsphilosophie schnell Respekt in der Branche verdient. Der „Romantiker“ – es gibt auch einen spannenden „Revoluzzer“ – kommt nicht von ungefähr: Denn der Romantiker Hoffmann von Fallersleben zählte zum Hallgartener Kreis, der Teil der deutschen Demokratiebewegung war und die Beratungen in der Paulskirche vorbereitete. Genau der richtige Wein als zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes. Romantisch ist auch das Gartenhaus unterhalb des ehemaligen Wohnhauses von Adam von Itzstein, wo das Weingut gelegentlich ausschenkt. Eine Handlese und die Selektion der besten Trauben gehört zur Philosophie ebenso wie lange Maischezeiten und ein Vergärung mit natürlichen Hefen vor dem Reife im Holzfass. Das führt zu aromaintensiven Weinen, die in sich selbst ruhen. Ein lauer Sommerabend zu zweit ist für den „Romantiker“ genau die richtige Gelegenheit. Weingut Bibo Runge: 2022 „Romantiker“ Hallgartener Hendelberg Riesling trocken

Zeitreise in die Vergangenheit

Reinsortige Weinberge sind heute selbstverständlich. Doch es gab Zeiten, das wuchsen in einer Parzelle mehrere unterschiedliche Rebsorten nebeneinander. Eine clevere Art der Risikominimierung, denn wenn einzelne Rebsorten von Schädlingen oder Krankheiten heimgesucht werden, fällt der Ertrag nicht ganz flach. Heute ist das kein Thema mehr, weshalb der „Gemischte Satz“ eine Seltenheit ist. Nicht so Österreich, die sich den Begriff gesichert haben. Der Johannisberger Winzer Sebastian Hanka tauft diesen außergewöhnlichen Wein deshalb „field blend“. Auch einer kleinen Fläche im Oestricher Doosberg wachsen die sechs Rebsorten Traminer, Muskateller, Weißer und Roter Riesling, Roten Riesling sowie Heunisch und Orleans, die Hanka zu einer außergewöhnlichen Cuvée kombiniert. Das Weingut verspricht unter dem Motto „Zurück in die Zukunft“ eine „Zeitreise“ im Glas.  Frucht und Würze, Leichtigkeit und Komplexität, Säure und Harmonie… Weingut Hanka, Johannisberg: 2022 „Zurück in die Zukunft“ Field Blend trocken (18,00)

…. und hier noch ein paar mehr Vorschläge

Weingut Johannishof, Johannisberg

2022 Riesling Charta „Fass 52“ trocken (17,50)

… perfekt zum 40. Geburtstag der Charta-Weine 2024

Weingut Chat Sauvage, Johannisberg

2022 Chardonnay Rheingau trocken (25,00)

Bischöfliches Weingut, Rüdesheim

2022 Riesling „Episcopus“  (16,80)

Weingut Fauststoff – Julian Faust,  Rauenthal

2023 „Urstoff“ Rheingau Riesling trocken  (13,50)

Weingut Barth, Hattenheim

2022 Riesling Singularis trocken

Weingut Kaufmann, Hattenheim

2023 „Uno“ Weißburgunder-Chardonnay trocken

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Weinlesestart 2024 mit Solaris

In der Pfalz sind am 19. August die ersten Trauben der Rebsorte Solaris für Federweißen gelesen worden. Nach Angaben des Deutschen Weininstituts (DWI) bewegen sich die Entwicklungsstände der Reben in etwa auf dem Niveau der beiden Vorjahre. Die geernteten Trauben der robusten Rebsorte seien gesund gewesen und hätten mit über 80° Oechsle eine sehr gute Reife gezeigt. Laut DWI bewegen sich die Entwicklungsstände der Reben in etwa auf dem Niveau der beiden Vorjahre. Die aktuell sehr sonnige Witterung gebe der Reifeentwicklung noch einmal einen deutlichen Schub.

„Alkoholfrei“ auf Erfolgsspur?

Die Stimmung in der Weinbranche ist gegenwärtig trüb bis depressiv. Der Weinkonsum geht ebenso zurück wie die Neigung, für einen ordentlichen Tropfen tief in die Tasche zu greifen. Bei mehr als zehn Euro je Flasche wird die Luft dünn. Sehr dünn. Das ist kein deutsches Phänomen, sondern eine globale Entwicklung, auch wenn hierzulande die Pfennigfuchserei bei Lebensmitteln und Getränken besonders ausgeprägt scheint. Selbst aus China wird von einem dramatischen Rückgang bei Konsum und Produktion berichtet. Dass sich die Lage schnell wieder bessert, ist kaum zu erwarten. Ein verändertes Konsumverhalten und die demographische Entwicklung werden die Not der Weinerzeuger eher noch verschärfen.

Einen Lichtblick verheißt das noch junge Segment der alkoholfreien Weine. Für überzeugte Weinschmecker – wie mich – sind sie allerdings unverändert ein Graus und geschmacklich noch Lichtjahre von dem entfernt, was die Bierbrauer inzwischen mit ihren alkoholfreien Varianten zu leisten imstande sind. Auch viele Winzer tun sich mit der Entalkoholisierung ihrer Weine schwer. Schließlich geben sie sich über das Jahr hinweg viel Mühe, ein Produkt zu erzeugen, dessen Geschmackerlebnis maßgeblich auf der Vergärung von Zucker zu Alkohol beruht. Diesen nachträglich durch Vakuumsdestillation wieder mit hohem technischen Aufwand zu entfernen und damit auch Aromen zu verlieren, ist bei diesem Naturprodukt zu widersinnig. Dem Weintrinker können diese Überlegungen gleichgültig sein. Vor allem jene Mehrheit der allenfalls gelegentlichen Weintrinker, die auf unkomplizierten Genuss zum moderaten Preis schielen. Ihnen bietet sich  eine neue Option, ebenso den Autofahrern, Schwangeren und Abstinenten, die bei einer Feier mit anstoße wollen. Das Geschmackserlebnis eines großen Weins aus herausragender Lage werden die Entalkoholisierer nach meiner Überzeugung niemals bieten könnten. Solche Weine sind ein flüssiges Kulturgut – und damit weit mehr als nur ein durstlöschendes Getränk. (leicht abgewandelter Kommentar in der FAZ vom 17.8.2024)

Schröer auf dem Baiken

Die Rheingauer Gastronomie kommt nicht zur Ruhe. Unter den vielen Nachrichten zu Schließungen, Neueröffnungen und Wechseln sticht für die Fein- und Weinschmecker eine hervor: Sternekoch Dirk Schröer und seine Frau Amila Begic-Schröer bauen nach sechseinhalb Jahren ihre Zelte in Kiedrich ab. Zum Jahresende 2024 läuft der Pachtvertrag über die Schänke Groenesteyn aus. Die beiden bleiben aber zur Erleichterung ihrer vielen Stammgäste der Gastronomie und dem Rheingau treu.

Sie übernehmen den „Baiken“ in Rauenthal (Zufahrt über Wiesweg) der seit 2008 von der Gruppe „P5“ gepachtet worden war und unter Patronin Vera Förster ebenfalls viele überzeugte Stammgäste hatte. Bis zum Jahresende kocht Schröer noch in Kiedrich, danach wird im „Baiken“ umgebaut, und um die Osterzeit 2025 soll eröffnet werden. Wie gewohnt gibt es in der Schänke „Fine Dining“ im bisherigen Stil. Am Wochenende (freitags bis sonntags) wird zusätzlich für Ausflügler und Wanderer der Innenhof bewirtschaftet. Er wird gastronomisch frei, nachdem die Staatsweingüter in Eltville eine neue große Halle für den Außenbetrieb errichtet haben. Gastronomisch will Schroer im „Baiken“ seiner Linie treu bleiben und „gut, ehrlich und innovativ kochen“. Der Stern ist dabei kein Muss, auch nicht für die Staatsweingüter, die dort künftig mehr und auch gereifte Weine aus ihrem Sortiment einschließlich von der hessischen Bergstraße anbieten wollen, und zuletzt aus der Schatzkammer. Kleiner Nachtrag: P5 und Patron Egbert Engelhardt ziehen sich zum Saisonende auch von der Bewirtschaftung des Ausflugsziels „Schwarzes Häuschen“ im Steinberg zurück, das die Staatsweingüter künftig wieder in Eigenregie und in Verbindung mit der Vinothek am Steinbergkeller bewirtschaften wollen. Dafür ist schon eine Mitarbeiterin neu verpflichtet worden.