Die künstliche Intelligenz fackelt nicht lange. Die Aufgabe, sich in die Rolle eines versierten Sommeliers zu versetzen und dem Restaurantgast einen feinen Sekt deutscher Herkunft zu empfehlen, löst Chat GPT binnen zwei Sekunden: Die Triumvirat Grande Cuvée Brut von Winzersekt-Pionier Volker Raumland ist ein mindestens so guter Tipp wie der Rosé brut der Eltviller Sektmanufaktur Schloss Vaux. Für das intime Silvesterfest zuhause mit der Ehefrau erweitert die KI ihre Vorschläge um einen „Brut nature“ des Rheingauer Sekterzeugers F.B. Schönleber und des fränkischen Weinguts Geiger und Söhne. Und wenn das Geld nach Weihnachten dafür zu knapp sein sollte: Chat GPT nennt unter anderem Rotkäppchen-Mumm mit seinem Chardonnay Extra trocken und Henkells Blanc de Blancs Extra dry als günstige Alternativen.
Die Ratschläge künstlicher Intelligenz vor dem Griff ins Supermarktregal oder der Online-Bestellung werden bei Wein und Sekt immer bedeutender. „Die KI hält Einzug bei den Kaufentscheidungen“, bestätigt Christof Queisser vom deutschen Sektmarktführer Rotkäppchen-Mumm. Queisser hat kürzlich eine repräsentative Studie vorgestellt, wonach fast ein Drittel der 18 bis 29 Jahre alten Kunden und damit fast 19 Prozent aller Befragten positive Erfahrungen mit künstlicher Intelligenz bei der Wein- und Sektauswahl gesammelt haben. Immerhin 20 Prozent vertrauen zudem auf Influencer, die im Internet ihre Meinung kundtun.
Dagegen setzt der Handel unvermindert auf den Preis als Lockmittel. Der Großhändler Metro lockt noch bis zum 18. Dezember mit Fürst-von-Metternich Riesling Sekt für 4,99 Euro je Flasche in seine Filialen, und er lobt dessen „Aromen von feinen Zitrusfrüchten, toller Mineralität und feinem Säurespiel“. Den günstigeren Konkurrenten „Henkell trocken“ gibt es bei Metro schon für 3,35 Euro, und Kaufland hatte gerade erst Deutschlands beliebtesten Sekt, Rotkäppchen, zum „Knüller-Preis“ von 2,69 Euro im Angebot. Einschließlich Sekt- und Mehrwertsteuer.
Dabei hatte Rotkäppchen – wie viele andere Sekthersteller – nach der Pandemie und dem Inflationsschock Preiserhöhungen durchgesetzt und den Eckpreis für Rotkäppchen-Sekt von 3,99 auf 4,99 Euro angehoben. Die Endverbraucherpreise allerdings macht der Handel, nicht der Sekterzeuger. Rund 50 Prozent der Sekte werden im Lebensmittel-Einzelhandel als preisreduzierte Aktionsware angeboten. Sekt als Lockvogel, das funktioniert noch immer.
Während die aktuelle Lage der deutschen Weinerzeuger als kritisch gesehen wird, geben sich die Sekthersteller gelassener. Nach Darstellung des Verbands Deutscher Sektkellereien mit Sitz in Wiesbaden zeigt sich in diesem Jahr die spürbare Konsumzurückhaltung „erfreulicherweise nicht im Sektmarkt“. Im Gegensatz zu Stillwein prognostizieren die verbandseigenen Erhebungen der Sektbranche für den Zeitraum Januar bis Oktober im Vergleich zum Vorjahr stabile Absatzzahlen mit Zuwächsen von etwa 0,6 Prozent.
Kleinere und mittelständische Betriebe, die jährlich weniger als fünf Millionen Flaschen Sekt produzierten, seien durch die wirtschaftliche Gesamtlage jedoch unter Druck geraten. Allerdings sei der Dezember mit Weihnachten, den Feiertagen und dem Jahreswechsel für die Branche unverändert von hoher Bedeutung. Das „Jahresendgeschäft“ könne das für kleineren Betriebe geschätzte Absatzminus von 0,7 Prozent noch in eine positive Zahl verwandeln, heißt es hoffnungsvoll beim Sektverband.
Im Inlandsgeschäft, das rund 88 Prozent des gesamten Sektabsatzes ausmacht, sowie im Export, haben Prestige-Schaumweine gute Marktchancen. Auch der Aperitifmarkt, der ohne prickelnde Sekte undenkbar sei, gewinne an Dynamik, heißt es. Weitere positive Akzente für den Sektmarkt sieht der Verband in alkoholfreien schäumenden Varianten. Im Jahr 2024 hätten die „schäumenden Getränke aus entalkoholisiertem Wein“, so die korrekte weinrechtliche Bezeichnung, ihren Aufwärtstrend fortgesetzt. Bis Ende Oktober habe die Nachfrage um rund zehn Prozent über dem Niveau des Vorjahres gelegen.
„Nach unserer Einschätzung bleibt Deutschland 2024 ein Land der Sektliebhaber“, meint Verbandsgeschäftsführer Alexander Tacer. Genusskultur und Anlässe für geselliges Feiern würden auch in ökonomisch anspruchsvolleren Zeiten großgeschrieben. „Zudem erwarten wir, dass alkoholfreie Sektalternativen im Premiumsegment an Bedeutung gewinnen.“
Im langfristigen Vergleich allerdings hat die Sektlaune spürbar nachgelassen, wie kürzlich das Branchenmagazin Wein+Markt vorrechnete. Denn vor 30 Jahren tranken die Deutschen noch 443 Millionen Liter Schaumwein, 2023 waren es knapp 267 Millionen Liter. Der Pro-Kopf-Verbrauch sank somit von rund 5,5 Litern auf knapp 3,2 Liter jährlich, und das trotz steigender Bevölkerungszahl.
Gestiegen sind nicht die Kosten für Glas, Verpackungen und andere Materialien, sondern auch die Ausgaben für Energie, Logistik und Personal. Vor dem Hintergrund, dass die Gastronomie in einer schwierigen Lage ist und sie die Preise für Sekt und Champagner angehoben hat, erwies sich der Sektmarkt aber vergleichsweise als robust. Zur Absatzstabilisierung vor allem der großen Hersteller trugen die Aktionen im LEH maßgeblich bei. Allein zwischen Januar und Juli wurden laut Wein+Markt 46 Prozent der Schaumwein-Gesamtmenge über Promotionen verkauft. Zu den Verlierern zählte demnach Champagner, der 2023 rund 14 Prozent beim Absatz einbüßte und in diesem Jahr noch größere Verluste hinnehmen musste, während günstige Alternativen wie Crémant zulegten. Gut laufen sind Perlweine wie Prosecco, weil sie von der Sektsteuer von 1,02 Euro je Flasche ausgenommen sind.
Strategisch stehen Sekterzeuger wie Rotkäppchen-Mumm vor großen Herausforderungen. In der Branche ist von einem Generationenwandel die Rede, weil die „Generation Z“ mehr und mehr die Konsumentenschar prägt, während die „Boomer“ auf dem Rückzug sind. Rotkäppchen-Mumm hat durch repräsentative Befragungen herausgefunden, dass 57 Prozent der 18 bis 29 Jahre alten Deutschen mehr Getränke ohne oder mit reduziertem Alkoholgehalt im Angebot sehen wollen. Es mangelt dieser Generation demnach nicht an der Feierlaune und der Lust auf „selbstbestimmte Genuss-Momente“.
Rotkäppchen-Mumm reagiert mit einer Diversifizierung der Produktpalette. Vorstandschef Queisser kündigt für das Frühjahr eine „Fusion“ aus Limonade und Schaumwein an. Die „Secconade“ mit einem Alkoholgehalt 5,5 Volumenprozent wird es in den drei Geschmacksrichtungen Zitrus, Pink Grapefruit und Blutorange geben. Abgefüllt in 0,33 Liter-Flaschen soll der Trenddrink für die Generation Z. für 1,99 Euro auf den Markt kommen, ferner eine Variante mit zugesetzten Koffein, die sieben Prozent Alkohol aufweist. Die ersten Signale der Marktforschung lassen Queisser erwarten, dass die „Secconade“ am Markt ein beachtlicher Erfolg werden wird.
Auch deshalb ist Queisser im Hinblick auf das Geschäftsjahr 2025 sehr optimistisch. Mit dem laufenden Jahr sei er schon jetzt „mehr als zufrieden“, auch wenn ein Sekthersteller immer erst im Januar abrechne, so Queisser. Er stellt im Februar seine letzte Bilanz vor, denn nach zwölf Jahren tauscht der Manager Promille gegen Koffein, Sekt gegen Kaffee: Er tritt in die Geschäftsführung der Tchibo-Holding Maxingvest ein. (mein Bericht aus aus der FAZ vom 20. Dezember 24)