Spätestens mit jedem Ende der Spargelsaison bewirbt die Weinwelt „Sommerweine“ mit bunten Etiketten und phantasievollen Namen. Dabei weiß niemand so recht, was ein Sommerwein eigentlich sein soll. Etwa ein halbtrockener Rosé oder ein Müller-Thurgau unter dem trendigeren Synonym Rivaner? Vielleicht ein spritziger Pinot Grigio oder doch ein junger und fruchtbetonter Riesling? Sind alle anderen Weine dann Winterweine? Viele Erzeuger launiger Sommerweine versprechen in den warmen Monaten ein spritzig-leichtes Fruchterlebnis bei moderatem Alkohol. Einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen diese Weine am Gaumen aber nur selten. Ich halte wenig von diesen bisweilen dünnen, nicht selten belanglosen und häufig wenig haltbaren Tropfen. Schnell getrunken, schnell vergessen. Also Finger weg vom Sommerwein! Denn warum sollen die schönsten Wochen des Jahres keine Zeit für ernsthafte, spannende Weine mit Anspruch sein? Auch ein lauer Sommerabend verdient ein grandioses Weinerlebnis. Guter Riesling ist unter den Rebsorten ohnehin eine Allzweckwaffe. Auch komplexe Weine mit Anspruch bereiten in diesen Wochen am Grill und auf der Terrasse viel Freude – und sie sorgen für viel Gesprächsstoff unter freiem Himmel. Für die FAZ-Sonntagszeitung (18.08.2014) habe ich vier Beispiele jenseits des Mainstreams aus Hochheim, Johannisberg, Hallgarten, Martinsthal ausgewählt, die mehr als nur ein flüchtiges Weinerlebnis versprechen.
Riesling aus dem „Ei“
Da griff sogar Cem Özdemir zu. Als Bundeslandwirtschaftsminister zu Gast im Hochheimer Weingut Weinegg war, überzeugte ihn unter anderem dieser außergewöhnliche Riesling der Hochheimer Winzers Fabian Schmidt – nicht nur wegen der 2023 erteilten Öko-Zertifizierung des Demeter-Weinguts. Dieser Riesling reift nicht im Edelstahltank und auch nicht im großen oder kleinen Holzfass, sondern erhält seinen Feinschliff im 800 Liter fassenden Granit-Ei. Solche Behälter sind nicht neu, aber in vielen Weinkellern noch immer außergewöhnlich und zudem sehr teuer. Sie verleihen den Weinen eine ausgeprägte mineralische Note und einem kernigen Charakter. Ein Wein mit Grip am Gaumen, der viel Trinkfluss entfaltet. Bemerkenswert sind die kühlen, salzigen Noten, dazu Aromen von reifer Ananas und Zitrusfrüchten. Ein eleganter Wein mit prägnanter Säure, und auf der Zunge scheint selbst der Stein wohltuend schmeckbar. Der im September 2022 von Hand geerntete und vegane Wein wurde „ungeschönt“, also ohne Entfernung der Trubstoffe, abgefüllt. Leider gibt es kaum mehr als 1000 Flaschen von diesem außergewöhnlichen Wein, aber noch sind welche verfügbar. Unter Tipp: Nicht lange fackeln, zugreifen. Weingut im Weinegg, Hochheim: 2022 Hochheimer Riesling Stone Egg trocken (18,50)
Zart vom Holz geküsst
Schon die Optik dieser Glasflasche macht neugierig und kündigt einen außergewöhnlichen Auftritt an: Ein Rheingauer Riesling in der Burgunderflasche? Ja, das ist stimmig, wenn die immer noch fas 80 Prozent der Rebfläche prägende Leitsorte des Rheingaus ausnahmsweise von jungen Eichenholz geküsst wurde und vom Charakter dadurch eine ungewöhnliche Wandlung erfahren hat. Die höchst engagierte Weinmacherin Julia Seyffardt, die Tochter des Rheingauer Weinbaupräsidenten Peter Seyffardt, spricht selbst von einem „burgundisch-cremigen Riesling“ mit zartem Schmelz und leicht buttrigen Aromen. Die Noten von Karamell und reifem Apfel sind nicht gerade typisch für den Rheingauer Riesling, aber sie machen diesen Wein gerade deshalb so interessant. Das „Wilde Holz“ reift einige Monate in kleinen Eichenholzfässern, ehe es seine Balance zwischen Würze und Frucht findet. Danach ist das „Wilde Holz“ ein ausgezeichneter Essensbegleiter zu all jenen Speisen, mit denen beispielsweise auch ein Weißburgunder oder Chardonnay harmonieren würde. Wer die Zeit hat, lagere den Wein noch ein wenig im Keller, denn dann entfaltet er sein Potential noch besser. Weingut Diefenhardt, Martinsthal. 2023 Riesling „Wildes Holz“ trocken (13,90)
Romantiker aus Hallgarten
Ausschließlich handgelesene Trauben aus der höchsten und steilsten Lage des Weinguts Bibo-Runge, dem Hallgartener Hendelberg, werden für diesen Wein verwendet. Sie werden in einer französischen Korbpresse sanft gepresst, ehe der Most rund ein Jahr im großen Eichenfass spontan vergoren wird und dort reift. Markus Bonsels und seine Frau Monika Eichner führen das Weingut erst seit 2017, doch die Quereinsteiger haben sich mit ihrer Qualitätsphilosophie schnell Respekt in der Branche verdient. Der „Romantiker“ – es gibt auch einen spannenden „Revoluzzer“ – kommt nicht von ungefähr: Denn der Romantiker Hoffmann von Fallersleben zählte zum Hallgartener Kreis, der Teil der deutschen Demokratiebewegung war und die Beratungen in der Paulskirche vorbereitete. Genau der richtige Wein als zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes. Romantisch ist auch das Gartenhaus unterhalb des ehemaligen Wohnhauses von Adam von Itzstein, wo das Weingut gelegentlich ausschenkt. Eine Handlese und die Selektion der besten Trauben gehört zur Philosophie ebenso wie lange Maischezeiten und ein Vergärung mit natürlichen Hefen vor dem Reife im Holzfass. Das führt zu aromaintensiven Weinen, die in sich selbst ruhen. Ein lauer Sommerabend zu zweit ist für den „Romantiker“ genau die richtige Gelegenheit. Weingut Bibo Runge: 2022 „Romantiker“ Hallgartener Hendelberg Riesling trocken
Zeitreise in die Vergangenheit
Reinsortige Weinberge sind heute selbstverständlich. Doch es gab Zeiten, das wuchsen in einer Parzelle mehrere unterschiedliche Rebsorten nebeneinander. Eine clevere Art der Risikominimierung, denn wenn einzelne Rebsorten von Schädlingen oder Krankheiten heimgesucht werden, fällt der Ertrag nicht ganz flach. Heute ist das kein Thema mehr, weshalb der „Gemischte Satz“ eine Seltenheit ist. Nicht so Österreich, die sich den Begriff gesichert haben. Der Johannisberger Winzer Sebastian Hanka tauft diesen außergewöhnlichen Wein deshalb „field blend“. Auch einer kleinen Fläche im Oestricher Doosberg wachsen die sechs Rebsorten Traminer, Muskateller, Weißer und Roter Riesling, Roten Riesling sowie Heunisch und Orleans, die Hanka zu einer außergewöhnlichen Cuvée kombiniert. Das Weingut verspricht unter dem Motto „Zurück in die Zukunft“ eine „Zeitreise“ im Glas. Frucht und Würze, Leichtigkeit und Komplexität, Säure und Harmonie… Weingut Hanka, Johannisberg: 2022 „Zurück in die Zukunft“ Field Blend trocken (18,00)
…. und hier noch ein paar mehr Vorschläge
Weingut Johannishof, Johannisberg
2022 Riesling Charta „Fass 52“ trocken (17,50)
… perfekt zum 40. Geburtstag der Charta-Weine 2024
Weingut Chat Sauvage, Johannisberg
2022 Chardonnay Rheingau trocken (25,00)
Bischöfliches Weingut, Rüdesheim
2022 Riesling „Episcopus“ (16,80)
Weingut Fauststoff – Julian Faust, Rauenthal
2023 „Urstoff“ Rheingau Riesling trocken (13,50)
Weingut Barth, Hattenheim
2022 Riesling Singularis trocken
Weingut Kaufmann, Hattenheim
2023 „Uno“ Weißburgunder-Chardonnay trocken