Die zumindest temporäre Stilllegung von Rebflächen, die Zahlung von Rodungsprämien an Winzer und ein Stopp bei der Vergabe neuer Pflanzrechte: Das sind drei Maßnahmen, die dazu beitragen könnten, die gegenwärtige Krise des Weinbaus zu lindern. Der Rheingauer Weinbaupräsident Peter Seyffart hat sie auf der traditionellen Winterfachtagung des Verbandes mit der Forderung nach einer Stärkung der „Marke Rheingau“ verbunden. Denn „wer ohne Marke ist, der endet im Preiskampf“. Dass die Lage schwierig ist, bestätigte Landwirtschaftsminister Ingmar Jung (CDU) in einer Videobotschaft, während er zeitgleich seinen Etat und damit auch die Fördermittel für den Weinbau in der Klausurtagung der CDU-Landtagsfraktion verteidigte. Der Preisdruck im Weinmarkt sei die Folge eines Ungleichgewichts zwischen Konsum und Produktion. Seyffardt sprach von einem globalen Überangebot an Wein mit der Folge eines ruinösen Preiswettbewerbs.
Zu spüren bekommen haben die Winzer dies im zurückliegenden Herbst, als die Fassweinpreis auf ein Niveau von 70 bis 80 Cent je Liter sanken und damit ein Niveau deutlich unterhalb der Produktionskosten erreichten. Seyffardt beklagte aber auch eine Zurückhaltung der Konsumenten. Die Gastronomie sei ein inzwischen schwächelnder Absatzkanal. Bei der Nachfrage gebe es zudem Polarisierung zwischen dem preisgünstigen Einstiegssegment und dem hochpreisigen Premium-Niveau zu Lasten des Mittelsegments.
Laut Seyffardt nahm die deutsche Rebfläche seit 1990 von 95.000 auf 103.000 Hektar zu, obwohl der Pro-Kopf-Verbrauch in den vergangenen fünf Jahren von 20,9 auf 19,3 Liter zurückging. Hinzu kommt, dass der Marktanteil der deutschen Erzeuger in Deutschland stetig zurückgeht. Allein in den drei Jahren seit 2021 ging der Anteil von 44,8 auf 41,1 Prozent zurück. Einer der Gewinner des Verdrängungswettbewerbs im global größten Weinimportmarkt war demnach Italien. Der Deutsche Weinbauverband hat laut Seyffardt inzwischen das Ziel ausgerufen, dass der deutsche Wein wieder einen Anteil am Inlandsmarkt von 50 Prozent erreicht, ab wie das gehen soll, ist dem Martinsthaler Winzer Seyffardt schleierhaft. Zumindest so lange, wie der preisbewusste Konsument am Weinregal im Supermarkt schon wegen einer Ersparnis von ein paar Cent eher zum ausländischen Erzeugnis greift. „Wir bekommen heute für den Wein weniger als 1995“, meint der Weinbaupräsident. Er würde sich deutlich mehr Weinpatriotismus unter den deutschen Konsumenten wünschen. Im Lebensmittelhandel gebe es für die hiesigen Erzeuger jedenfalls keine Unterstützung des Verbrauchers.
Seyffardt bescheinigt der ausländischen Konkurrenz eine in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesteigerte Qualität und ein innovatives Marketing. Dagegen habe der deutsche Wein „ein Imageproblem“. Unter den Jüngeren werde Wein zudem eher als traditionelles Getränk der Älteren wahrgenommen. Seyffardt beklagte zudem ein weit verbreitetes „Riesling-Bashing“, also eine herabsetzende, nicht gerechtfertigte Kritik an der Leitrebsorte des Rheingaus. Der Riesling sei aber nicht per se „sauer“. Er spiegele im Glas vielmehr wie keine andere Rebsorte ihre Herkunft, das Terroir, wider. Zudem sei der Riesling in der Lage, mit dem Klimawandel zurechtzukommen. Die Rebsorte, die im 19. Jahrhundert mit die teuersten Weine der Welt hervorgebracht habe, gehöre zu den Gewinnern des Klimawandels. Im Weinmarkt scheint diese Botschaft allerdings wenig Gehör zu finden. Den Winzer bereiten deshalb zunehmend nicht mehr bewirtschaftete Rebanlagen Sorgen, die zum Ausgangspunkt für die Ausbreitung von Schädlingen werden. Seyffardt forderte zudem eine Beschleunigung der Flurbereinigungsverfahren, die viel zu lange dauerten.
Die schwierigen Zeiten für die deutschen Winzer haben gerade erst begonnen, und eine schnelle Besserung ist nicht in Sicht. Das ist die Einschätzung von Simone Loose von der Hochschule Geisenheim, die betriebswirtschaftliche Daten zahlreicher deutscher Weingüter auswertet. Die rechnet mit einer „weiterhin ökonomischen Stagnation“ und einem fortlaufenden Strukturwandel in der Branche. Die Konsolidierung im Weinfach- und Weingroßhandel sei noch lange nicht abgeschlossen. Für den Rheingau identifizierte Loose aber zwei ermutigenden Tendenzen: Viele Rheingauer Weingüter seien im Export „exzeptionell gut etabliert“, und eine internationale Bewegung hin zum Konsum von Weiß- und Schaumwein bedeute eine Chance gerade auch für Deutschland und seine Weißweine. Ob von dieser Tendenz beim Export auch der Riesling und nicht nur die weißen Burgunderweine profitieren, will Loose bald näher untersuchen. Riesling sei international gesehen „keine einfache Rebsorte“, weil er sowohl trocken als auch halbtrocken oder süß in die Flasche gefüllt werde. Ein Risiko seien zudem neue Handelshemmnisse unter dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Zu den Herausforderungen im Wettbewerb zählt Loose unter anderem die hohen Produktionskosten des Rheingaus im Vergleich mit anderen Anbaugebieten. Die große Chance liege allerdings im Weintourismus und in der Zugehörigkeit zur kaufkraftstarken Metropolregion Frankfurt/ Rhein-Main. (aus meinem Bericht in der FAZ von der Winterfachtagung vom 15. Januar 2025)