Der Ruf nach mehr Nachhaltigkeit und einem kleinen CO2-Fußabdruck beschäftigt die Winzer in ganz Deutschland. Ob in den Weinbergen zur Erreichung dieser Ziele den neu gezüchteten, pilzwiderstandsfähigen Rebsorten, kurz Piwis, eine entscheidende Rolle zufällt, ist in der Branche allerdings noch umstritten.
Dabei liegen ihre Vorteile auf der Hand: Weniger Spritzvorgänge in der Vegetationsphase der Reben bedeuten auch weniger Traktorfahrten in den Rebzeilen, weniger Dieselverbrauch und weniger Bodenverdichtung. Ihr gewichtiger Nachteil: die Akzeptanz beim Kunden für Rebsorten wie Calardis blanc, Divico oder Muscaris ist noch gering und der Erklärungsbedarf den Winzer zu hoch.
Dennoch: Anlässlich des Jubiläums der Mainzer Weinbörse hatte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) im Frühjahr in seiner Festansprache dafür plädiert, den Anbau pilzwiderstandsfähiger Rebsorten zu forcieren, auch für deutsche Spitzenweine. In dem von Riesling und Spätburgunder geprägten Rheingau ist die Neigung, diesem Appell zu folgen, bislang geringer als in anderen Anbaugebieten. In Deutschland sind bislang rund drei Prozent der gut 100.000 Hektar Rebfläche mit Piwis bepflanzt. Im Rheingau weniger als 0,5 Prozent, an der Hessischen Bergstraße sind es 3,5 Prozent.
Zu den wenigen Erzeugern, die mit Piwi-Sorten der nächsten Generation wie Cabernet Blanc oder Souvignier gris experimentieren, zählen auch die Hessischen Staatsweingüter. Das Weingut Prinz von Hessen, das gerade erst auf Ökoweinbau umgestellt hat, sammelt auf drei Prozent der 35 Hektar erste Erfahrungen. Auch kleinere Weingüter wie Prana in Winkel und Engelmann-Schlepper in Martinsthal zeigen sich aufgeschlossen und berichten von guten Erfahrungen.
Aus Erzeugersicht gibt es keinen Anlass zögerlich zu sein. Das meint Reinhard Antes, der an der Bergstraße auf großer Fläche Reben veredelt. Er hat 450 Rebsorten und Klone im Angebot, darunter 75 Piwis, und liefert jährlich 2500 Weingütern in 40 Ländern mehr als 1,4 Millionen Reben zur Neupflanzung. Mehr als die Hälfte der verkauften Reben entfällt inzwischen auf Piwis, sagte Antes kürzlich auf einer Sitzung des Hauptausschusses des Rheingauer Weinbauverbandes.
Antes sieht Piwis als „Baustein der Nachhaltigkeit“. Um ihre Verbreitung zu fördern, schlägt er vor, nicht den Anbau dieser Rebsorten finanziell zu fördern, sondern die Vermarktung. Das ist auch seiner Sicht wegen zögerlicher Kunden und „schwieriger“ Namen der neuen Rebsorten nötig. Denn bei Blindverkostungen zeigten sich die Piwis nicht im Nachteil gegenüber den herkömmlichen Sorten: „Sie sind nicht schlechter im Geschmack“, sagt Antes.
Er warnte die Winzer aber davon, beim Anbau darauf zu hoffen, sich den Pflanzenschutz ganz sparen zu können. Das sei nicht der Fall, meint Antes, der nicht von resistenten, sondern von pilztoleranten Rebsorten spricht. Denn Krankheitserreger mutierten und fänden bisweilen Wege, vor allem einfache Resistenzen, wie sie die Rebsorten Regent aufweist, zu überwinden. Ziel sind daher mehrfach-resistente Sorten.
Zu ihnen zählen beispielsweise Sauvitage, Sauvignac und Souvignier gris. Letzterer ist nach Ansicht von Antes aktuell „klar die Nummer eins“ unter den Piwis und gut geeignet, den Grauburgunder zu ersetzen. Dieser habe ohnehin den Höhepunkt seines Booms beim Verbraucher hinter sich. Calardis blanc wiederum hat einen Riesling-ähnlichen Geschmack, und Cabernet blanc könnte auf den Müller-Thurgau folgen, der laut Antes ohnehin „der Verlierer des Klimawandels“ ist. Souvignier gris sei der „Grauburgunder der Zukunft“, habe viele positive Eigenschaften und vor allem eine gute Akzeptanz beim Kunden.
Bis auf Souvignier gris rät Antes aber, keine reinsortigen Piwi-Weine mit dem Namen der Sorte auf dem Etikett anzubieten. Die Winzer sollten vielmehr Cuvées unter einem Fantasienamen kreieren. Seiner Ansicht nach wird es im Weinbau ohne Piwis nicht mehr gehen. Vor allem die Ökowinzer sollten schon aus Gründen der Glaubwürdigkeit möglichst viele Piwis anpflanzen.
Ähnlich hatte sich schon zu Jahresbeginn bei der Weinbaufachtagung im Rheingau der Marktforscher Christoph Kiefer von der Hochschule Geisenheim geäußert. Piwis hätten gute Chancen auf dem Markt. Vielleicht nicht bei den in ihren Geschmacksvorlieben verhafteten „Traditionalisten“ und auch nicht bei ausgewiesenen Kennern. Wohl aber in den Zielgruppen der „aufgeschlossenen Frauen“, der „jungen Weininteressierten“ sowie derjenigen, die sich der Gesundheit und Nachhaltigkeit verschrieben hätten. Sie alle sind laut Kiefer wenig kontaktscheu im Hinblick auf neue, „nachhaltige Rebsorten“. Vor allem dann nicht, wenn sie frankophile Namen wie Souvignier gris oder Sauvignac tragen. Aber auch Kiefer gab zu, dass es leichter ist, Piwis in Weincuvées zu „verstecken“ anstatt sie offensiv anzubieten.
Die Zurückhaltung der Rheingauer Winzer war dennoch auch im Hauptausschuss spürbar. „Nicht, solange ich noch verantwortlich bin“, sagte beispielsweise ein Betriebsleiter. Zudem sind viele seiner Kollegen noch der Überzeugung, dass der Riesling eine für die Zukunft gut geeignete „Klimarebsorte“ ist, sofern der richtige Klon im geeigneten Weinberg gepflanzt worden ist. (aus der FAZ vom 28. November 2024)