Der Weinbau soll nachhaltig, am besten klimaneutral werden. Ein schwieriger Weg, auf dem pilzresistente Rebsorten, Querterrassen und Leichtglas helfen könnten. Denn abgesehen von den Apfelplantagen sind es die Weinberge, die in der deutschen Landwirtschaft den intensivsten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln erfordern. Ohne Pflanzenschutz keine Ernte. Das ist unter anderem die Konsequenz einer Dauerkultur, die anders als beim Getreideanbau keine regelmäßige Fruchtfolge zulässt. Ein Weinberg steht für die Dauer von 30 und mehr Jahren, und er soll in jedem Jahr ordentliche Erträge liefern, um das Überleben der Betriebe zu sichern. Gleichwohl – oder auch gerade deshalb – ist die Nachhaltigkeit im Weinbau ein intensiv diskutiertes Thema.
Die Weinqualität beginnt immer mit der Arbeit im Weinberg. Mit der Nachhaltigkeit ist es nicht anders. Schon bei den Rebsorten hat der Winzer die Qual der Wahl: weiter – wie im Rheingau – vorrangig auf Riesling und Spätburgunder setzen oder den neu gezüchteten, pilzwiderstandsfähigen Rebsorten, kurz Piwis, eine Chance geben?
„Als Ergänzung interessant“, meint Weinbaupräsident Peter Seyffardt mit skeptischem Blick auf die Neuzüchtungen. Allerdings böten Piwis keine Garantie auf einen dauerhaft geringeren Einsatz von Spritzmitteln, wie die Entwicklung der vermeintlich resistenten Rebsorte Regent gezeigt habe. Diese habe ihre Widerstandsfähigkeit weitgehend verloren.
Dennoch haben viele Erzeuger einschließlich der hessischen Staatsweingüter begonnen, mit modernen Piwi-Sorten der nächsten Generation wie Cabernet Blanc oder Souvignier gris zu experimentieren. Ihr Vorteil: deutlich weniger Spritzvorgänge in der Vegetationsphase und damit weniger Traktorfahrten durch die Weinberge. Das bedeutet Einsparungen beim Dieselverbrauch und eine geringere Bodenverdichtung.
Ist der ökologische Weinbau daher alles andere als nachhaltig? Denn die zertifizierten Ökowinzer müssen in klimatisch schwierigen Jahren häufiger als ihre konventionellen Kollegen kupfer- und schwefelhaltige Spritzmittel ausbringen, um den gefährlichen Pilzkrankheiten wie Oidium und Peronospora keinen Raum im Weinberg zu geben. Stecken die Ökowinzer womöglich in einer Nachhaltigkeitssackgasse, wie es der Lorcher Winzer Gilbert Laquai am Rande eines Regionalgesprächs zur Nachhaltigkeit im Weinbau der Bürgerstiftung Rheingau-Taunus thematisierte?
„Keineswegs“, meint Bärbel Weinert-Maurer vom Johannisberger Weingut Prinz von Hessen. Das Weingut hat mit dem Jahrgang 2023 die dreijährige Umstellung auf ökologischen Weinbau abgeschlossen, und Prinz von Hessen ist zudem Mitglied im Verband der Prädikatsweingüter. Dessen 200 Mitglieder haben verpflichtend vereinbart, dass sich alle Betriebe bis zum Jahr 2025 einer nachhaltigen Zertifizierung unterziehen müssen. Beispielsweise durch die Initiative „FairChoice“ oder den 2013 gegründeten Verein „Fair and Green“, von dem eigenen Angaben zufolge rund 60 Weingüter zertifiziert worden sind. Eine Nachhaltigkeitszertifizierung bezieht neben ökologischen auch ökonomische und soziale Kriterien ein.
Rund 40 Prozent der von VDP-Gütern gepflegten Rebfläche werden von insgesamt 82 Weingütern schon jetzt ökologisch bewirtschaftet. Damit würden mehr als 16 Prozent der deutschen Ökoweinbaufläche von VDP-Mitgliedern bewirtschaftet, heißt es beim Verband. Ein gutes Dutzend Güter arbeitet sogar biodynamisch. So weit will Weinert-Maurer in ihrer Strategie für Prinz von Hessen zwar nicht gehen. Sie sieht aber wie fast alle Biowinzer keinen Widerspruch zwischen Nachhaltigkeit und Ökoweinbau. Der Bioweinbau sei vielmehr „ein Baustein unserer Nachhaltigkeitsstrategie“.
Auf drei Prozent der 35 Hektar Rebfläche hat sie zudem Piwis angepflanzt, um Erfahrungen zu sammeln. Reinsortig lassen sich diese Weine zwar wegen der Zurückhaltung vieler Konsumenten noch nicht so einfach verkaufen. Das Weingesetz aber lässt es zu, auch dann eine einzige Rebsorte wie Riesling oder Spätburgunder auf dem Flaschenetikett zu vermerken, wenn bis zu 15 Prozent andere Rebsorten zugemischt wurden. Eine Möglichkeit, die vor allem bei Basisweinen häufig genutzt wird.
Nicht wenige Rheingauer Winzer lehnen Piwis bislang noch rundweg ab und sind der Ansicht, dass der noch immer die Rebfläche klar dominierende Riesling sehr wohl eine für die Zukunft gut geeignete „Klimarebsorte“ ist – wenn der richtige Klon an der richtigen Stelle gepflanzt worden ist. Der Riesling verkrafte die Klimaentwicklung und finde im Rheingau gute Bedingungen, bestätigt Weinbaupräsident Seyffardt.
Integraler Bestandteil eines nachhaltigen Wirtschaftens im Weinbau sind unabhängig von der ökologischen oder konventionellen Strategie der Erhalt und die Förderung der Biodiversität. Die Vorteile des Ökoweinbaus scheinen in dieser Hinsicht allerdings überschaubar. Seyffardt verwies bei einem Fachgespräch zum nachhaltigen Weinbau auf Untersuchungen des Julius-Kühn-Instituts für Pflanzenschutz in Obst- und Weinbau Geilweilerhof, wonach auf integriert und umweltschonend bewirtschafteten Flächen sogar mehr Nützlinge zu finden seien als auf Flächen des Ökoweinbaus.
Besonders günstig für die Artenvielfalt sind demnach im landschaftsprägenden Steillagenweinbau – unabhängig von der Wirtschaftsweise – Querterrassen, wie sie Winzer Laquai schon seit 2008 in Lorcher Steilhängen angelegt hat. Dadurch sind rund zehn Hektar begrünte Böschungen entstanden, die bedeutsame Lebensräume für viele Insekten sind. Laquai wirbt für einen „extensiven Anbau auf großer Fläche statt intensiver Bewirtschaftung auf kleiner Fläche“.
Nicht im Ökoweinbau, sondern in der Querterrassierung sieht er deshalb den „bedeutendsten Baustein“ für eine nachhaltige Bewirtschaftung der Weinberge. Fauna und Flora profitierten enorm, eine Erosion bei Starkregen werde vermieden, die Laubwand werde gut durchlüftet, und der Einsatz moderner Maschinen sei möglich. Allerdings: Die einmaligen Investitionskosten zur Umgestaltung der Weinberge sind immens. Laquai fordert daher finanzielle Unterstützung der nachhaltig wirtschaftenden Betriebe.
Die Vorteile von Querterrassen für die Artenvielfalt bestätigt aus wissenschaftlicher Sicht Ilona Leyer vom Institut für angewandte Ökologie der Hochschule Geisenheim. Sie schlägt vor, die Monotonie der Landschaft aufzubrechen durch mehr Hecken, Alleen, Säume, Grünland und Brachen. Mehr Vielfalt in den Weinberg brächten auch Nisthilfen, Totholz und besonders breite „Maxigassen“ mit einer Begrünung durch artenreiche, regionale Saatmischungen. Ein anderes Konzept heißt Vitiforst: Die ersten Rheingauer Winzer haben begonnen, Bäume zwischen die Rebzeilen zu pflanzen, um der Natur auf die Sprünge zu helfen. Bäume sollen Kohlenstoff binden, das Klima positiv beeinflussen, den Boden verbessern und die Biodiversität erhöhen. Bäume sollen zudem gut sein für den Wasserhaushalt und die Nährstoffversorgung. Eine Strategie, die von den meisten Winzer bislang aber sehr kritisch gesehen wird.
Am Ende zählt zur Nachhaltigkeit im Weinbau nicht nur die Arbeit im Weinberg, denn jeder Arbeitsschritt vom Rebschnitt bis zum Versand soll nachhaltig sein. Ökostrom im energieeffizienten Weinkeller, Abfüllung in dünnwandige Leichtglasflaschen, Effizienz bei Versand und Logistik, das sind nur einige der Stichworte in einer fortlaufenden Diskussion über den Weg zum CO2-neutralen Weingut. Allein die herkömmliche Einweg-Weinflasche ist für 47 Prozent des Kohlendioxidausstoßes eines Weinguts verantwortlich.
Zudem stellt sich die Frage, ob auf eine Leichtglasflasche nicht auch ein Naturkork gehört? Nach Meinung des Naturschutzbundes beispielsweise sollten die Weinkäufer gezielt im Handel danach fragen, denn Kork sei das Produkt einer jahrhundertealten nachhaltigen Landbewirtschaftung in den Korkeichenwäldern, habe eine gute Klimabilanz und lasse sich problemlos recyceln: „Darum ist die Nutzung von Flaschenkorken ein echter Gewinn.“
Die Verpackungsindustrie kontert mit Studien, wonach der Aluminiumschraubverschluss nur zwei Prozent der Klimaauswirkungen einer Flasche Wein ausmache. Ein flächendeckendes Zurück vom Schraubverschluss zum Korken scheint schon aus Kostengründen nicht mehr vorstellbar.
Verpackung und Logistik beschäftigen aber Winzer Laquai. Er hat seine Kunden daran gewöhnt, leer getrunkene Flaschen beim nächsten Einkauf zurückzubringen, wie es in der Vergangenheit in vielen Betrieben üblich war. Die Rücklaufquote von 35 Prozent hält Laquai für gut, die Flaschen lässt er in einer Rheingauer Behindertenwerkstatt spülen.
Vom teuren Vollkorken hält er nicht viel, weil die Kunden dafür nicht mehr zahlen wollen. Dafür kommt der Lorcher Winzer den Kunden buchstäblich weit entgegen. In der Wiesbadener Mauergasse hat er ebenso wie Kollegen eine Vinothek mit Ausschank eröffnet. Eine Verkaufsstelle in der Großstadt, so Laquai, bedeute mehr Nachhaltigkeit durch Kundennähe.
(Mein Bericht aus der FAZ vom 14.8.2024)